■ Wird der UN-General Philippe Morillon, „Schutzschild“ des von Serben belagerten Srebrenica, bald abgezogen?: Die UNO braucht solche Helden!
Sic transit gloria mundi, hätten die Römer gesagt. Aber selbst solch ein Satz wird einem schal auf der Zunge: Denn Ruhm hat der französische General Morillon nicht einmal genippt. Er hat nur die ganze Härte der Entbehrungen mittragen und schmecken wollen, unter denen Menschen in Ost-Bosnien sterben, ermordet werden und überleben.
Das Wort „Ruhm“ hat sich fast verboten, als die Bevölkerung der weltweit unrühmlich bekannten Stadt Srebrenica ihrem General Morillon einen Platz widmete.
Es ist nicht das erste Mal in den letzten zwölf Monaten, daß jemand geht oder gefeuert wird, der die UNO und den schwerfälligen Mechanismus voranbringen will. Der erste war vor einem halben Jahr der General Michel Loridon, der am Tage, da die Roten Khmer das Pariser Friedensabkommen brachen, sofort mit seinen UNTAC-Blauhelmen losmarschierte und diese zur Räson bringen wollte: Das wurde dem französischen General nicht erlaubt.
Da kam es zum UN-Einsatz in Somalia – der UN-Sicherheitsrat verfügte die Verlegung von 2.300 UN-Blauhelmen in das afrikanische Land. Die logistische Führung der UN-Agenturen übernahm ein erfahrener algerischer Diplomat, Mohamed Sahnoun. Sahnoun erkannte die behäbige Dienst-nach- Vorschrift-Methode, mit der sich die UNO-Töchter einrichteten. Er sah, daß es mit einer halbherzigen Aktion nicht getan war – und verlangte genau das, was dann die Amerikaner zu tun sich anheischig machten. Die aber taten nur die Hälfte dessen, was notwendig war. Kurz nach dem Start des Weihnachts-Aufmarsches waren die US- und UN-Generäle von allen guten Geistern verlassen, weil sie so taten, als ob das Allerwichtigste, nämlich die Entwaffnung der somalischen Banden, nicht zu ihrem Mandat gehöre. Seit dieser Zeit sammeln sie halbherzig nur das schwere Gerät ein.
Und nun General Philippe Morillon – der Eindrucksvollste unter den drei Genannten. Er verkörperte wie kein anderer den Typ, den die Weltgemeinschaft künftig für derlei Missionen braucht. Die künftigen Blauhelm-Operationen müssen sich auf die wesentlichen Aufgaben effektiv konzentrieren können:
1. Sie müssen eine internationale Befehlsstruktur haben, die eindeutig ist. Bislang ist trotz der blauen Helme und Mützen und Zehntausenden von blaßblauen Fahnen, Flaggen, Wimpeln noch keinerlei wirkliche Internationalität erreicht. Beispiel Bosnien: Die 2.400 Briten bekommen den Befehl für den Einsatz der 30-Tonnen-Warrior-Panzer nicht etwa von Morillon, sondern von John Major in London, die Franzosen von ihrem Premier- oder Verteidigungsminister. Bei den Spaniern ist die Sache genauso wie bei den 1.000 kanadischen Blauhelmen, die da alle in Bosnien mit ihren Souveränitäts-Brechstangen im Wald herumfahren. Morillon stand als Autorität für ein zentrales UN-Kommando. Er wollte das im Handstreich wie ein Prinz von Homburg erzwingen, als er – zur Begeisterung der gesamten zivilisierten Welt und zumal Europas, das in dieser Situation seit zwei Jahren so fürchterlich versagt – die Führung der UN-Operation in Srebrenica übernahm. Er hatte gehofft, daß zumindest die Westeuropäer daraufhin Flagge zeigen würden. Sie haben nicht.
2. Künftig wird die UNO wirklich die Treuhand über Bosnien, Kambodscha und Somalia übernehmen müssen. Diese drei Länder, zu denen man schon heute eigentlich auch Afghanistan, Angola und Mosambik und künftig Südafrika hinzufügen muß, können sich aus eigener Kraft nicht mehr administrieren. Das muß die UNO machen.
3. Die UN-Operationen brauchen auch motivierende Helden, nicht nur Bürokraten. Ich sprach mit Morillon am 2. Januar in seinem Hauptquartier mitten in Sarajevo. Er sagte mit Galgenhumor, zu Weihnachten hätte die serbische Artillerie ihn gern aus diesem Haus verjagt, aber er blieb. Dann kam es beinahe zum Ende der Operation, als die Hochkommissarin Ogata die UNO-Hilfsoperation und alle Konvois stoppte. Da erst begann der Stern Morillons zu glänzen. Er begab sich mit eigenem Auftrag ins muslimische Goražde. Dann, als die Konvois wieder aufgenommen, aber ständig blockiert wurden und der vorerst letzte Akt der ethnischen Vertreibung in Ost-Bosnien in Čerska, Zepa, Konjove und Polje begann, da setzte sich Morillon wider alle Regularien in einen Helikopter. Ohne all die Sesselfurzer in New York und Genf zu fragen, landete er im Tuzla Dibrave Airport, wo niemand landen darf, von dort aus brach er nach Srebrenica auf und stellte sich gegen den UN-Befehl als lebender Schutzschild vor die belagerte und beschossene Bevölkerung. Dann machte er das unwürdige Spiel mit, für den Abtransport der Schwerstverletzten, also eine banale Selbstverständlichkeit, 16 Tage zu verhandeln.
Jede neue UNO-Operation wird solche Kommandeure und Helden wie Philippe Morillon brauchen. Europa hat sich über den Einsatz Philippe Morillons wie auch des polnischen Menschenrechtsbeauftragten Tadeusz Mazowiecki rehabilitiert. Diese beiden könnten gemeinsam eine Europa- Aktion zur Rettung der Bosnier anführen, Mazowiecki müßte die zivile Leitung, Morillon die militärische innehaben. Die Regierungen Europas würden die Grenzen Bosniens mit Blauhelmen absperren, die Luftbrücke jetzt, wo der Luftraum frei ist, bis nach Tuzla und Mostar ausdehnen, die Verwaltung auf die nächsten fünf Jahre übernehmen, den Nord- Korridor solange absperren, solange die serbische Verwaltung dort nicht bereit ist, über Wiederansiedlung von muslimischen und kroatischen Bosniern zu verhandeln.
Aber wie gesagt, die Meldung des Tages ist: Paris zieht seinen Helden zurück. Morillon, General Philippe Morillon, hat sich um das Europa verdient gemacht, das auch dann weiterleben sollte, wenn die Regierungen es im sacro egoismo verschleudern. Rupert Neudeck
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