Die Rebellenfahne weht über der Geisterstadt

■ Im angolanischen Huambo leben 400.000 Menschen isoliert zwischen Ruinen

Huambo (taz) – Es ist das Sarajevo Afrikas, eine Geisterstadt ohne Licht und ohne Geräusche. Riesigen toten Insekten gleich ragen ausgebrannte Reste von Artilleriegeschützen in den Himmel. Fensterlose Apartmenthäuser gleichen verräucherten Waben: zerschossen, ausgebrannt und leer.

Auf der Straße am zerstörten Bahnhof der Stadt drückt sich am späten Abend in der feuchten Kälte ein splitternackter Junge an eine Hauswand. Im Vollmondlicht streunen Hunde zwischen den Hülsen von Artilleriegeschossen, Resten von Panzerfäusten und zerschossenen Ziegelsteinen umher. Eine Frau in zerschlissenem Rock und verdrecktem rotem Pulli wühlt zwischen Papieren. Leere Patronenhülsen, eine halboffene Munitionskiste mit Leuchtspurpatronen, verrostete Teile von Sturmgewehren und blutige Uniformreste schiebt sie achtlos beiseite. Ein paar schmutzige, aber unbenutzte Mullbinden verschwinden dagegen in einem Beutel. Neben dem Garagentrakt weht über der Ruine von Huambos Gouverneurspalast die rotgrüne Fahne der angolanischen Rebellenbewegung Unita.

Der graue Bau ist von Kugelsalven zernarbt, ein Teil des Daches von einer Explosion weggefegt. Ausgebrannte Polizeiwagen, die Reste des Gouverneurs-Mercedes und Tausende von leeren Patronenhülsen in den Gängen zeugen von der letzten Verteidigungsschlacht der Regierungstruppen. „Am Anfang waren wir 50“, erzählt der 30jährige Jose Fernandes, der gefangene Chef der Garde, „20 sind gefallen.“

„Das war das Symbol der Macht“

„Eine der blutigsten Schlachten in Afrikas Geschichte“ nennt die katholische Kirche Huambos den 55tägigen Kampf im Hochland Angolas. „Das war das Symbol der Macht“, jubelt stolz Jorge Valentim, Informationschef der Unita, während er rund 1.000 Anhänger durch das Stadtzentrum führt.

„Huambo war für uns eine Schicksalsschlacht“, erklärt Valentim. „Es ging um alles oder nichts. Hätten wir Huambo verloren, wären wir im Busch vergessen worden.“ Einen Monat, nachdem die Freischärler Angolas zweitgrößte Stadt mit etwa 400.000 Einwohnern am 6. März schließlich eroberten, gelangte auf Einladung der Rebellenbewegung kurz vor Ostern erstmals eine Journalistengruppe nach 60stündiger Fahrt durch Urwald, Sümpfe und über zerstörte Straßen nach Huambo.

In einer früheren Soldatenwohnung neben dem Gouverneurspalast hängt noch immer Verwesungsgestank. Eine Frauenbrigade kehrt den Abfall auf der Straße „7. Februar“ zusammen. Um eine vertrocknete Blutlache schlagen sie schweigend einen Bogen. Hier war eine Frau mit ihrer Schubkarre auf eine versteckte Mine geraten.

Die Minengefahr schreckt die Menschen nicht davon ab, zu Hunderten systematisch die leeren und zerstörten Wohnungen nach Verwertbarem zu durchsuchen. Erschrocken drückt sich der 13jährige Justo in die Ecke einer Ruine, als er die Journalisten sieht. Seine Ausbeute: ein paar Stoffetzen, zersplitterte Bettrahmen, ein zerbeulter Kochtopf.

Vor und nach der Eroberung plünderten Regierungssoldaten wie Unita-Rebellen die ganze Stadt. Selbst die Tresore der Bank wurden gesprengt. „Wir fordern mit allem Nachdruck“, verlangte sechs Tage nach der Eroberung die katholische Erzdiözese in einem Schreiben an das Unita-Oberkommando, „daß es keine Menschenjagd gibt, keine schwarzen Listen aufgestellt werden, keine Rechnungen auf eigene Faust beglichen werden.“

„Es war nach dem Unita-Sieg längst nicht so schlimm, wie wir befürchtet haben“, sagt ein Priester, der sich trotzdem fürchtet, seinen Namen zu nennen. In Huambo herrscht Angst. Angesichts der freundlichen, aber wachsamen Unita-Begleiter hält sich die Bevölkerung mit Aussagen zurück. „Es hat viele Denunziationen gegeben“, erzählt schließlich eine Frau, und Unita-Chef Savimbi bestätigt: „Die Leute haben uns erzählt, wo sich die MPLA-Anhänger versteckten.“

Der Endkampf war lang und blutig. 800 Regierungssoldaten und Familienangehörige, erzählt Unita-Oberleutnant Alfonso Pinto, machten sich am 6. März schließlich auf den Rückzug in die 300 Kilometer entfernte Hafenstadt Benguela – immer wieder von Rebelleneinheiten angegriffen. „Wir machten etwa 300 Gefangene“, erklärt er. Laut Oberstleutnant Pinto fielen außer den insgesamt 1.100 Gefangenen oder Geflohenen alle in der Stadt stationierten Soldaten und Mitglieder der Elitepolizei den Kämpfen zum Opfer. Rund 5.000 Mann, so Unita, hatte die Regierung in der Stadt stationiert. Über die eigenen Verluste schweigt Unita sich aus. „Es hat Tausende von Toten gegeben“, erzählt Marcial Vitorino, ein früherer Mitarbeiter der ehemaligen Niederlassung des Internationalen Roten Kreuzes in Huambo. Insgesamt wohl über 15.000, vielleicht mehr, vielleicht weniger. Vitorino: „Die Leichen haben auf den Straßen gelegen, und viele wurden von Hunden aufgefressen.“

Der 30jährige Evaristo Muhongo kann sich geradezu glücklich schätzen. Am ersten Tag der Kämpfe zerfetzte eine Mine sein rechtes Bein. Bis zum 13. März lag er in einem improvisierten Regierungskrankenhaus. „Niemand versorgte uns. Mein Zimmernachbar starb und wurde tagelang nicht abgeholt.“ Evaristo behauptet, er habe seinen Lebensunterhalt mit kandongo verdient, mit Schwarzhandel. Aber nach Ansicht der neuen Herren in Huambo gehörte er zu einer Gruppe von 143 verletzten Mitgliedern der Elitepolizei, die von fliehenden Kameraden zurückgelassen wurden. Laut Kirchenkreisen erließ Unita-Chef Savimbi höchstpersönlich den Befehl, die Verwundeten am Leben zu lassen.

Evaristo Muhongo wartet auf die Amputation seines Beines. Erst am Gründonnerstag – einen Monat nach dem Ende der Kämpfe – begannen die Krankenhausärzte wieder mit Operationen. „Das geplünderte Penicillin müssen wir auf dem Markt wieder aufkaufen“, erzählt Margarete Roth. Die Krankenschwestern und Nonnen des halbzerstörten Zentralkrankenhauses spenden zum Teil selber Blut, um Patienten am Leben zu erhalten. „Wir bräuchten Ärzte, Medikamente und Operationsaurüstung“, sagt Margarete Roth. „Wir brauchen auch Nahrungsmittel“, sagt Unita-Gouverneur Geronimo Wanga. Bisher gab es keinen einzigen Hilfsflug nach Huambo.

„Die Regierung will das nicht“, behauptet Unita-Sprecher Valentim. Die Regierung dagegen argumentiert, Hilfslieferungen müßten global geregelt werden. Es könne keine Hilfsflüge von internationalen Organisationen nach Huambo geben, solange Unita-Einheiten andere Städte belagern und Hilfsflugzeuge beschießen.

Zu Ostern schlug die Unita eine sofortige Feuerpause vor. Nicht nur, weil sich die Rebellenbewegung auf der Siegerstraße fühlt. Die Kontrolle über die etwa 400.000 Einwohner von Huambo stellt die Rebellen vor große Verwaltungsprobleme. In aller Eile wird zwar ein straff organisiertes Einparteiensystem in der Stadt aufgebaut. Aber die Versorgung kann nur aufrechterhalten werden, wenn die Verbindungen nach außen wieder aufgenommen werden. Willi Germund