Andreotti weist alle Vorwürfe weit von sich

■ Italiens prominentester Politiker hält sich für politisch verfolgt und rügt die Justiz

Rom (taz) – Bewaffnet mit einem dicken Dossier, bleich, aber auch wildentschlossen zum Gegenangriff, erschien am späten Mittwoch nachmittag Italiens prominentester Angeschuldigter am Sitz der Immunitätskommission des Senats: Giulio Andreotti, 74, siebenmal Ministerpräsident und 33mal Minister, seit 1946 unentwegt an der Spitze der Politik, mußte zur Frage Stellung nehmern, ob seine parlamentarische Immunität – er ist Senator auf Lebenszeit – für zwei Strafverfahren aufgehoben werden kann. Das eine wirft ihm einen Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz vor, das andere Beteiligung an mafioser Bandenbildung.

Noch am Vortag hatten die Ermittler weitere schwere Anklagen nachgeschoben: Beteiligung am Mord an DC-Chef Aldo Moro 1978, am römischen Journalisten Pecorelli 1979 und am Anti-Mafia- General Carlo Alberto Dalla Chiesa 1982.

Die Bezeichnung „Dossier“ für Andreottis Verteidigungsschrift greift nicht zu hoch – über die notwendigen Antworten auf die Verdächtigungen hinaus hat Andreotti auch eine umfangreiche Dokumentation mitgeliefert, die den von ihm unterstellten Verdacht politischer Verfolgung durch Palermos Staatsanwälte belegen soll.

In der Sache rügt Andreotti sowohl prozedurale wie logische, wie inhaltliche Fehler. Prozedural hätten die Ermittler nach der Zustellung des Ermittlungsbescheides an einen „immunen“ Parlamentarier jeglichen weiteren Untersuchungsschritt unterlassen müssen, bis die Immunität aufgehoben ist. Statt dessen seien sie stechschnell nach Amerika geflogen, um die dort lebenden Mafia-Aussteiger zu verhören – für den christdemokratischen Politiker Beleg, daß die ursprünglichen Anschuldigungen unhaltbar waren und man nachlegen mußte, was wiederum die am Ursprung der Angelegenheit stehende Verfolgungsabsicht belege. Zudem hätten die Ermittler mehrere schwere Kompetenzüberschreitungen begangen.

Mafia-Kontakte? „Lächerlich“

Logisch unstimmig erscheinen Andreotti überdies zahlreiche Datumsfeststellungen durch das gute Dutzend ihn anschuldigender Kronzeugen, die in der Tat auch nach Meinung von Andreotti- Gegnern nicht recht zusammenpassen. Inhaltlich wehrt sich Andreotti gegen seiner Meinung nach „geradezu lächerliche“ Behauptungen wie die, daß er sich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre mehrmals mit hohen Mafia- Bossen getroffen habe – er sei schließlich seit Jahrzehnten rund um die Uhr von einer vielköpfigen Leibwache umgeben gewesen, die akribisch jede Bewegung festgehalten, jede Begegnung protokolliert habe, man brauche dazu nur die einschlägigen Register nachzusehen. Daß die Mafia-Aussteiger auch präzise Angaben über Örtlichkeiten und sogar Kleidung der Anwesenden machen, hält Andreotti für „ein Kinderspiel, das jeder Geheimdienstler im ersten Jahr schon einfädeln kann“ – schließlich habe es nahezu keine Reise von ihm gegeben, die nicht von Fernsehkameras aufgezeichnet wurde, man könne also jederzeit herausbekommen, was er an welchem Tag getragen habe. Und daß er in Sizilien an vielen Orten war, sei auch kein Geheimnis – schließlich sei die Insel einer seiner Haupt- Wählerstützpunkte gewesen, habe er an unzähligen Veranstaltungen und Diners teilgenommen.

Den Mitgliedern des Immunitätsausschusses scheint inzwischen der anfängliche Mut zur Freigabe ihres Kollegen etwas abhanden zu kommen. Sie haben sich vorgenommen, spätestens nächste Woche ihre Stellungnahme abzugeben, das letzte Wort hat dann wohl die Vollversammlung. Das Dilemma drückt einer der Kommissare so aus: „Durchaus möglich, daß da auch eine politische Verfolgung mit vorliegt. Doch wie sollen wir dem Volk eine Ablehnung der Immunitätsaufhebung erklären, wo doch schon heute eine regelrechte Lynchmentalität gegenüber jedem angeschuldigten Politiker besteht?“ Werner Raith