Roßkur mit dem Koran

Die Wirtschaftsreform im Sudan führt zu horrenden Verbraucherpreisen / In der Landwirtschaft wurden erstmals Überschüsse produziert  ■ Aus Khartum Khalil Abied

„Es ist reiner Zufall, wenn unsere islamischen Wirtschaftsmaßnahmen der IWF-Politik entsprechen“, meint ein sudanesischer Regierungspolitiker auf die Frage, ob in seinem Land nicht genau die vom Westen geforderten Rezepte angewendet würden. „Wir wenden islamische Wirtschaftsprinzipien an. Der Islam erlaubt die Marktfreiheit unter der Bedingung, daß es keine Ausbeutung oder Monopolisierung gibt.“

Überall auf den Straßen, im staatlichen Fernsehen und in den Amtsstuben von Khartum stehen Suren aus dem Koran oder Aussprüchen des Propheten Mohammed, die zur Arbeit und zur Produktivität, zur Entrichtung der Armensteuer und zur Solidarität zwischen Arm und Reich aufrufen.

Das Programm zur „Rettung der Wirtschaft“ von 1990 verordnete den Sudanesen eine bislang nie gekannte Roßkur. Preisbindungen und feste Währungskurse wurden aufgehoben, der staatliche Sektor privatisiert, Zehntausende Angestellte des aufgeblähten Staatsapparates bekamen ihre Kündigung. Zugleich wurden die Steuern für höhere Einkommen drastisch erhöht und schließlich im Februar 1992 die Subventionen für Grundnahrungsmittel aufgehoben. Mit den Maßnahmen soll der private Sektor angekurbelt und bislang unproduktiv genutzte Ressourcen für Investitionen in der Landwirtschaft freigesetzt werden. „Wir konsumieren das, was wir selber produzieren“, heißt die Devise. Landwirtschaftliche Entwicklung hat für die sudanesische Regierung oberste Priorität.

Vor allem Genossenschaften und Kleinbauern sollen unterstützt werden. Die Zahl der Zweigstellen der Landwirtschaftsbank wurde von 76 auf 144 erhöht. Und kamen früher 3 Prozent aller Kredite der Landwirtschaft zugute, so sind es heute 50 Prozent. Durch neue Bewässerungsanlagen, verbilligten Dünger und Saatgut sowie gute klimatische Bedingungen konnte die Produktivität erheblich erhöht werden. Erstmals wurden sogar landwirtschaftliche Überschüsse erzielt , zum Beispiel beim Weizen- und Hirseanbau. „Mußte früher 80 Prozent des Weizens importiert werden, so können wir uns heute selber versorgen“, sagt Finanzminister Hamdi. „Innerhalb von zwei Jahren haben wir ein Reformpaket durchgeführt, für das andere Länder sehr viel länger brauchen und dabei massive ausländische Unterstützung erhalten. Wir bekamen nichts aus dem Ausland.“

Dabei hat der Sudan mit zusätzlichen Problemen zu kämpfen. Die Golfstaaten haben sich für die sudanesische Unterstützung des Irak während des Golfkrieges gerächt und jede Hilfe eingestellt. Und auch aus den westlichen Geberländern, die dem Sudan vorwerfen, er würde die „Islamische Revolution“ exportieren, fließen keine Gelder mehr. 200.000 Sudanesen, die ihre Arbeit in den Golfländern verloren haben, mußten wieder eingegliedert werden, und der Bürgerkrieg im Süden kostet jeden Tag eine Million Dollar – einmal abgesehen von den menschlichen Verlusten und Zerstörungen. Die Devisenvorräte sind ausgeschöpft, was dazu geführt hat, daß Öl nur noch in begrenztem Umfang importiert werden kann. Benzin mußte rationiert und die meisten Inlandsflüge der Sudan Airways eingestellt werden.

40 Prozent leben unter dem Existenzminimum

Vor allem für die städtischen Mittel- und Unterschichten heißt es, den Gürtel enger zu schnallen. Der Preis für Zucker verdoppelte sich. Der Brotpreis stieg um das 16fache und Speiseöl um das 20fache. Ein Kilo Fleisch kostet heute 250 Sudanesische Pfund, ein Kilo Tomaten 50 Pfund und das bei einem Monatseinkommen eines Arbeiters von 2.500 Pfund – etwa 30 DM. Nach Schätzungen der sudanesischen Gewerkschaften leben heute 40 Prozent aller Sudanesen unter dem Existenzminimum.

Um die schlimmsten Auswirkungen abzumildern, wurden mehrere Ausgleichsfonds wie der „Fonds für soziale Gerechtigkeit“ geschaffen, aus denen arme Familien unterstützt werden. Der Zakat, die entsprechend islamischer Glaubensgrundsätze für jeden Moslem verbindlich zu entrichtende Armensteuer, wurde staatlich institutionalisiert. Konsumgenossenschaften in ärmeren Stadtteilen und auf den Dörfern bekommen staatliche Fördergelder, damit sie Lebensmittel zu verbilligten Preisen anbieten. Besonders bedürftige Familien erhalten Lebensmittelkarten.

Die meisten Sudanesen, gerade in den ärmeren Stadtteilen Khartums, tragen wie die Hausfrau Aziza die Sparpolitik mit Fassung. „Es ist richtig, daß das Brot sehr teuer ist. Aber das erste Mal essen wir Brot aus unserem eigenen Weizen und müssen nicht mehr im Ausland betteln. Die Regierung hat ein schweres Erbe angetreten. Wir müssen Geduld haben, dann wird es uns besser gehen.“

Aber Teile des Privatsektors halten sich trotz der wirtschaftlichen Liberalisierungen zurück. Viele Sudanesen haben ihr Kapital ins Ausland geschafft und weigern sich, es im Lande zu investieren, solange die Regierungspartei FIN maßgeblichen Einfluß auf die Wirtschaftspolitik ausübt und so ihren eigenen Anhängern Vorteile verschaffen kann. „Man kann nicht von wirtschaftlicher Freiheit sprechen, wenn es keine politische Freiheit gibt“, sagt ein sudanesischer Geschäftsmann.