: Kalimonopolist will Kumpeln die Suppe versalzen
Einst gehörten die Kaliwerker in Bischofferode zur Arbeiterelite der DDR. Seit einer Woche hält die Belegschaft ihr Werk besetzt, das, obwohl es seine Abnehmer halten konnte, im Sanierungs- konzept der Treuhand nicht mehr vorkommt.
„Seit Jahren erfüllen und überbieten wir unsere Pläne bei bester Qualität. Unsere Erzeugnisse genießen in über 30 Ländern der Erde einen ausgezeichneten Ruf. Und die rund 2.000 Belegschaftsmitglieder unseres Werkes leben in sozialer Geborgenheit und Zukunftssicherheit.“ Über die hehren Worte aus der mit einem herzlichen „Glück auf!“ gezeichneten Festschrift zum „80. Jahrestag Kaliabbau Bischofferode, zum 500. Geburtstag von Thomas Müntzer und zum 40. Jahrestag der DDR“ können die letzten 700 Kaliwerker aus Bischofferode und dem Landkreis Worbis heute nur noch müde lächeln. „Unterm Erich gab's Orden für uns. Unterm Helmut müssen wir bald alle stempeln gehen“, sagt eine Betriebsrätin mit sarkastischem Unterton. Nein, wiederhaben wollen sie ihn nicht, den ollen Erich: „Aber so haben wir uns die neue Zeit nicht vorgestellt.“
Sollte es bei dem verabredeten Deal zwischen der Berliner Treuhand, der BASF-Tochter Kali und Salz AG und der Mitteldeutschen Kali AG (MdK) bleiben, fahren die Kumpel von Bischofferode am 30. Dezember zum letzten Mal in den Kaliberg. In dem von der Treuhand bereits akzeptierten Konzept der fusionswilligen Konzerne Kali und Salz AG und MdK zur Sanierung der deutschen Kaliindustrie kommt das legendäre Werk in Thüringen nämlich nicht mehr vor. Bereits am 27. April entscheidet die Hauptversammlung von Kali und Salz über die Fusion. Und erteilt über das erwartete Votum für die Fusion auch gleich ihr Plazet für die Stillegung des Kaliwerks – das nach Angaben des Betriebsrates im Jahr 7 Millionen Mark Miese einfährt, laut MdK- Vorstand runde 20 Millionen. „Die Treuhand will uns sterben lassen, um der BASF einen leidigen Konkurrenten vom Hals zu schaffen“, schimpft der „Schacht“-Betriebsratsvorsitzende Heiner Brodhun, in dessen Büro seit Mitte vergangener Woche die „symbolische Werksbesetzung“ in Bischofferode koordiniert wird.
Noch hoffen die „Kalier“. Und die „Hoffnung“ hat seit einigen Tagen auch einen Namen: Johannes Peine. Der Zement- und Düngemittelfabrikant aus dem Niedersächsischen hat der Treuhand ein Übernahmekonzept für Bischofferode vorgelegt. Mit Investitionen von insgesamt 100 Millionen Mark in den kommenden drei Jahren will Peine das Werk sanieren und 650 von derzeit 700 Arbeitsplätzen retten. Nach einer ersten Verhandlungsrunde teilte Treuhandsprecher Wolf Schöde am späten Mittwoch abend mit, daß die Treuhand Peines Übernahmekonzept „ernsthaft prüfen“ wolle. Viel Zeit bleibt dafür allerdings nicht. Schon am nächsten Freitag will der Treuhand-Verwaltungsrat der Kali und Salz und der MdK grünes Licht für die Fusion geben. Und dann dürfte Peine aus dem Rennen um den deutschen Kalimarkt ausgeschieden sein – und die Bischofferodener aus dem Arbeitsleben.
Der kalte Wind trägt ganze Wolken von Sandkörnern von den turmhohen Abraumhalden im Bischofferodener Ortsteil „Schacht“ hinüber zu dem verlorenen Häuflein, das das Tor zum einstigen DDR-Kaliwerk „Thomas Müntzer“ seit über einer Woche besetzt hält. Das Eichsfeld zwischen Harz und Werra sei halt ein rauhes Land, sagen die Frauen in ihrem Plaste- und Elasteschick vor dem Werkstor. Das 1909 gegründete Kaliwerk habe alle Zeitstürme überlebt: das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Faschismus und auch die rote Diktatur. Daß nun ausgerechnet die „neue Freiheit“, in der es „keinem schlechter, aber vielen besser gehen“ sollte, das Ende für den Kaliabbaustandort Bischofferode bringen soll, will ihnen nicht in den Kopf: „Wir haben doch nach der Wende gleich die Ärmel hochgekrempelt. Und wir haben durch Produktionssicherheit unseren festen Kundenstamm in ganz Westeuropa halten können“, sagt Heiner Brodhun beschwörend mit Blick nach Berlin.
Am Karfreitag gab's auf Zeche einen ökumenischen Gottesdienst. Am Ostersonntag wurde die Heilige Messe unter Tage gelesen. Und am Ostermontag brannte auf den Abraumhalden ein Mahnfeuer. „Die ganze Region steht hinter uns“, sagt Brodhun. Die Metzger und Bäcker beliefern die BesetzerInnen kostenlos mit Wurstpaketen und Körben voller Brötchen. Die Bürgermeister der Eichsfeld-Gemeinden, die Kreisstadt Worbis und die Landesregierung in Erfurt haben sich mit den ArbeiterInnen von Bischofferode solidarisch erklärt. „Hier gehen alle Lichter aus, wenn der Schacht zugemacht wird“, sagt der Bürgermeister von Bischofferode. Die Frauen seien doch schon alle arbeitslos geworden, als die „Spinne“ – eine Textilfabrik – dichtgemacht wurde. Und auch das Zementwerk in der Region sei „aufgelöst“ worden. Die Arbeitslosenquote im Eichsfeld liege schon heute bei über 20 Prozent. „Und wenn jetzt noch der Schacht zum Jahresende geschlossen wird, können die Menschen hier nur noch auswandern.“
1952 war das Kaliwerk Bischofferode, das 1909 aus dem Eichsfeld gestampft und „Weidtmannshall“ getauft wurde, in der Weimarer und Nazi-Zeit „Bismarckshall“ hieß, „Volkseigentum“ geworden. Die Bischofferoder Kali-Werktätigen gehörten stets zur „Arbeiterelite“ der DDR. Das im Schacht „Thomas Müntzer“ geförderte Kali war ein Exportschlager für das devisenhungrige DDR-Regime. Noch heute sind die „Kalier“ von Bischofferode stolz darauf, daß sie einer der wenigen Betriebe waren, die fast ausschließlich ins nichtsozialistische Ausland lieferten. Und daß sie ihre Kunden in England und Skandinavien, in Belgien und in Österreich auch nach der Wende bei der Stange halten konnten, gibt ihnen Hoffnung auf den Fortbestand der Förder- und Verarbeitungsanlagen, die, so Betriebsratschef Brodhun, zum Teil durchaus westeuropäischem Standard entsprächen. Weil sie ihre Kunden nicht verlieren wollen, ist die Werksbesetzung denn auch eine symbolische: Während vor dem Werkstor die Schichtwechsler und die Angehörigen der „Kalier“ gegen die Schließungspläne der Treuhand demonstrieren, läuft die Kaliförderung auf vollen Touren weiter. Klaus-Peter Klingelschmitt,
Bischofferode
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen