Ernst nur im Leben

■ Der Gebrauch des Menschen von Babylon auf Kampnagel

von Babylon auf Kampnagel

In der Art eines einführenden Vorspanns laufen die Figuren vom Zuschauerraum quer über die Bühne, versetzen in die Stimmung eines Dorfs im Jahre 1937. Man weiß, es liegt in Serbien.

Die jüngste Produktion der Gruppe Babylon auf Kampnagel verarbeitet den Roman Der Gebrauch des Menschen des serbischen Schriftstellers Aleksandar Tisma zu einer spielerischen Mixtur aus Kurzszenen und Rampenstatements. Zwei altbekannte Dinge, so scheint es, will uns Regisseurin Barbara Neureiter mitteilen: Vor Faschismus und Krieg sind die Menschen auf lächerliche Weise blind im bürgerlichen Mief gefangen, und nach der Konfrontation mit Gewalt und Terror sind sie nur mehr fähig zu lethargischer Lähmung oder Hysterie. Dafür benötigt sie zehn Schauspieler, eine große Bühne und gut zweieinhalb Stunden.

Tismas Geschichte mag im Roman vielschichtig sein und interessante Charaktere zeigen. In der Einrichtung von Barbara Neureiter und Heike Nikolaus fehlt die psychologische Entwicklung, die szenische Dichte. Die Figuren sind nach außen gerichtete Typen, die in ihren Eigenarten, Sehnsüchten und Macken nicht ernst genommen werden. Komödianten im falschen Stück. Vater Kroner (Ralf Knicker), Jude, mag Bücher und Prostituierte: „Im Winter liebe ich große Brüste, während ich mich im Sommer durchaus mit kleineren zufrieden gebe.“ Mutter Kroner, eine Deutsche, liebt den Klatsch, verehrt Cabriolets und ihren Sohn. Ihr Körper ist dem Gatten längst tabu, sie redet, um sich am Leben zu halten. Regina Vorbau erntet als Gisela Schlüter-Kopie viele Lacher. Die Kinder, Vera und Gerhard ergeben sich mit Freunden in Lümmelstreichen, spätpubertären Sehnsüchten und Wissensdrang.

In dieser Posse erscheint plötzlich ein Radio, ehrfürchtig empfangen wie ein Wesen vom fremden Stern. Nachrichten von Faschismus und Judenhaß erlangen Eintritt ins traute Heim. Schließlich kommt Schwager Sepp, kriegsverletzt und in SS-Uniform. Beim Abendmahl bricht man noch gemeinsam das Brot, dann plötzlich ist die Ruhe aus. Die Jungens wollen den Nazionkel töten: „Nur ein toter Onkel ist ein guter Onkel.“ Tochter und Mutter reagieren unterschiedlich hysterisch. Der Vater bleibt blind, bis er am Ende mit Judenstern die Bühne verläßt, gefolgt von den anderen, die ins Lager, an die Front oder in ein besseres Land ziehen.

Plötzlich sind alle weg (oder tot), so ernst ist es wohl im Leben. Im Theater geht es manchmal unbedarft zu, da werden die Menschen nicht so ernst genommen, die Geschichten nicht so genau erzählt. Niels Grevsen