Das Land, wo die Würste wachsen

■ „Ostgemachtes“ in der Stadthalle Bremerhaven / Endlich wieder „Negerküsse“

An den Schokoküssen sollt ihr sie erkennen: Während im Westen jetzt endlich auch der Süßwarenbranche der Rassismus ausgetrieben wird, heißen die „Grabower Küßchen“ seit der Wende wieder dick und fett „Negerküsse“. Zwei Mark zwölf Stück, und „allerfrischeste Ware isset,“ betont Uwe Rust, Verkaufsleiter der Grabower Dauerbackwaren GmbH. Die Firma, seit 1878 am Markt, verkaufte zu DDR-Zeiten Mangelware — Schokoküsse gab's lose, in Tüte. Wenn's sie gab. Heute dagegen gilt, wie Rust weiß, folgende Sprachregelung: „Die Küßchen aus Mecklenburg sind unser Top- Produkt.“

East goes West: „Ostgemachtes

Negerküsse

— Ein gutes Stück Deutschland“, so heißt eine große Promotion-Veranstaltung für ostdeutsche Produkte, die dieses Wochenende in der Bremerhavener Stadthalle läuft.

Dahinter steckt ein Berliner Förderverein „Made von HIER“, eine laut Selbsteinschätzung „Initiative für den Aufschwung des Ostens Deutschlands“. Man richtet sich ausdrücklich an den Endverbraucher, den man mit bewährten Ostmarken bekannt machen will. Devise: „neues Design — gleich guter Geschmack“.

An der ersten Bude noch draußen im Freien drängt sich der Eindruck auf, und er bestätigt sich in der Halle: Die DDR war, ist und soll sein ein großes Wurstland. Mit aller Macht werden Jagdwürste, Fleischwürste, Bockwürste, Bratwürste, geräucherte Schweinelende und Kopfsülze zu Legenden hochstilisiert, und sentimentale Ex-DDR-BewohnerInnen, die man hier reichlich antrifft, sind völlig aus dem Häuschen. „Die Thüringer Bockwurst, die dicke: die schmeckt einfach anders!“ schwärmt der Rentner, der sein Herz in Leipzig gelassen hat, und zerrt den Reporter an einen Wurststand aus Eisenhüttenstadt - „wunderbar!“

Wenn sich dem dummen Westgaumen die Ostwurst-Begeisterung nicht gleich erschließen will, die Spreewalder Gurke, die ist Klasse. Ullrich Wilhelm von der Spreewaldmarkt e.G. weiß warum: Frische Kräuter, gleich hinter der Fabrik angebaut, geheim gemixt, und dann der Spreewälder Boden, auf dem die Gürkchen wachsen... Seine Erklärungen gehen unter in einem Bläsertusch: Die Leusi's Blasband aus Berlin (Motto: „Die moderne Antwort in Sachen Blasmusik“) intoniert die „Amboß-Polka“. Auf dem Stand gegenüber versucht ein Simson-Moped aus der Motorradstadt Zschopau gegen die Musik anzustinken.

Wenn es denn überhaupt beabsichtigt gewesen sein sollte, das „Ostige“ aus der Veranstaltung rauszuhalten — es gelingt nicht. Die Bremerhavener Stadthalle wirkt wie ein alter HO-Laden. Stellwände flüchtig mit Rauhfaser tapeziert, etliche Stände leer, Produkte einzeln und einsam plaziert — ein Fall für Wehmut. Absicht? Vielleicht ist das die Tür, durch die sich Rotkäppchen-Sekt und Wurzener Cornflakes (Design stark an Kellogg's angelehnt) in die Westketten schleichen können.

Neben der Legende stimmt vor allem eins: der Preis. Am besten weiß das der Star der Veranstaltung, bekannt aus Funk und Fernsehn: Wolfgang Demann. Er hat in der DDR alles verkauft, was verkäuflich war, wurde an allen Ecken eingesetzt, „wo's brannte“, und war unter dem Namen „D.D.“ gefürchtet — „Diktator Demann“. Der Diktator kämpft im Kleinen gegen das Grundübel der Marktwirtschaft, die Inflation. „Sehen Sie, da drüben, Lübzer Bier, 400% schlagen die drauf, und? Nix los.“ An seinem „O.S.M.A.“-Billig- Stand dagegen herrscht zuverlässig Gedränge. Demann hat vor genau einem Jahr in Berlin-Marzahn einen Supermarkt mit Ostmarken aufgemacht. Hier kriegte die wunde Ost-Seele, als der erste bunte Rausch vorbei war, ihr CEKA-PUR zum Kloputzen, ihren „Werder-Ketschup“ (“Lassen Sie jedes Westprodukt für stehen“), ihr Puddingpulver (“Dr. Oetker hat den Namen, Kathi die Qualität“), ihre Florena-Rasiercreme und ihr „Klostergeflüster“ (Rotwein, lieblich). Letzteres gehörte zur „Bückdichware“ (für gute Kunden, unterm Ladentisch). Auch Westler kaufen hier billig ein, aber aus edlen Motiven: „Wir haben die Ostzone schon früher unterstützt und regelmäßig Pakete nach drüben geschickt,“ so erklärt gern ein rüstiger Rentner mit Pepita-Hut; „jetzt kaufen wir Ostprodukte.“

Sympathisch eigentlich, dies Provisorische, Schiefe, die Langsamkeit der Menschen, die Lust zu Erzählen. Eine nostalgische Veranstaltung. Einer hat übrigens die Wende ganz ausgezeichnet überstanden, produzierte damals Mangelware und jetzt erst recht: die „Burmeister Geldschrank Fabrik“ in Berlin. Seinerzeit drei Jahre Wartezeit bei Tresoren wg. Materialmangel. Heute Wartezeit wg. Nachfrage. Damals wurde Geld nicht geklaut, weil's eh nichts dafür gab. Heute brummt der Laden. Burkhard Straßmann