Ein niemals wankelmütiger Freund

■ Der Bremer Anekdotensammler Karl Lerbs erhält eine Sonderausgabe seiner Anekdoten zum 100. Geburtstag

Seine Mutter war eine geborene Grimm, Nachfahrin der „Brüder Grimm“, die mit nimmermüder Aufmerksamkeit dem Volk seine Märchen ablauschten. Karl Lerbs, Bremer sein Leben lang (1893-1946), hat diese Tradition würdig fortgesetzt: seine Bremer Anekdoten, jetzt in einer Sammlung zum hundersten Geburtstag herausgegeben vom Schünemann-Verlag, sind literarische Volkskunde vom Feinsten und zeigen obendrein die BremerInnen als ein Völkchen, das stolz auf sich und seine gelassene Schlagfertigkeit sein kann. Jedenfalls das Bremer Volk von „damals“, im ersten Drittel unseres Jahrhunderts.

Lerbs hat sein Bremen geliebt. Und die Tüdelmanns und Sengstakes, die Büssenschütts, Lüttjohanns Bestenborstels und Kastendieks, denen er aufs Maul schaute, die Kaufleute, Konsuln, Richter, Hausfrauen und Doktoren, denen er in ihre Arbeitsbereiche und in ihr Bremer Platt folgte. Diese Liebe zeigt sich nicht nur in Lerbs geistreicher und genauer Beobachtungsgabe seiner Mitbürger. Er spricht sie auch aus in der „Naturgeschichte des Bremers“: „Wer es versteht“, so Lerbs, „sich den Bremer menschlich zu gewinnen, der hat an ihm einen niemals wankelmütigen, immer weitherzigen, ehrlichen und fortschrittlichen Freund, dem es durchaus einerlei ist, ob der Weg durch Dick oder durch Dünn geht.“

Auf einem Foto in dem über 250 Seiten starken Anekdotenband sieht einem Karl Lerbs dunkeläugig schmal und melancholisch entgegen. In der von Jürgen Dierking verfaßten „Auskunft über Karl Lerbs“ erfahren wir dann auch nicht nur, daß Lerbs ein hochbegabter Übersetzer der Weltliteratur, Journalist an mehreren Bremer Zeitungen und Dramaturg am Bremer Theater war, der sich einer körperlichen Behinderung zum Trotz als Welt- und Modemann gab. Lerbs hatte auch eine entschiedene Sehnsucht nach einer ungebrochenen Ordnung, die ihn die wilheminische Kaiserzeit vermissen und die Räterepublik verfluchen ließ. 1946 brachte er sich um, möglicherweise deshalb, weil ihm, der niemals ein Nazi war, ein Schreibverbot wegen einer im „Völkischen Beobachter“ veröffentlichten Anekdote drohte.

Lerbs Anekdotensammlung läßt von einer überschattenden Melancholie wenig spüren. Mit glasklarer und gleichwohl Kleistischer Sprachdichte erfaßt er treffsicher Situationen und Menschentypen, die nicht antiquiert sind, weil sie dem Allgemeinheitsanspruch einer gelungenen Anekdote mit Leichtigkeit genügen. Bremer Prototypen hat Lerbs versammelt - und hin und wieder sogar eine Weltfigur wie den „Jandoktor“, einen Arzt, der, ganz wie es Kafka in einem beklemmenden Text forderte, ins Bett der Kranken steigt, um sie so zu heilen. Und es klappt. (vergleich Kasten). Cornelia Kurth

K.Lerbs: Die besten bremischen Anekdoten. Schünemann,Bremen 1993. DM 36