Schlaraffenland des Sultans

Eine Reise ins reiche Brunei  ■ Von Thomas Roser

Der Zollbeamte läßt Sorgfalt walten: Gründlich untersucht der olivgrün gewandete Herr die Reisetasche bis auf ihren Grund. „Kein Bier, kein Whisky?“ versichert er sich mit leichter Enttäuschung in der Stimme. „Was wollen Sie hier eigentlich?“ fragt er mißtrauisch, bevor er das Gepäck wieder freigibt. Das Ansinnen, das „Reich des reichsten Mannes der Welt“ sehen zu wollen, quittiert der mürrische Mann mit einem Kopfschütteln: „Hier gibt's nichts zu sehen.“

Tatsächlich ist es weniger der exotische Tropenzauber als das Geld, das dem fernen Zwergstaat am anderen Ende der Welt zu seinem legendären Ruf verholfen hat. Allenfalls die Scheichtümer am Golf können sich an Reichtum mit der südostasiatischen Wohlstandsoase noch messen. Die Liste der Superlative, mit denen sich das 260.000-Seelen-Sultanat schmücken kann, ist lang: ein einzigartiges Sozialsystem, der weltweit größte Palast, das höchste Pro-Kopf-Einkommen Südostasiens und nicht zuletzt ein Herrscher, der als der wohlhabendste Bürger auf Erden gilt: Das Vermögen von Sultan Hassan al-Bolkiah wird auf 37 Milliarden Dollar geschätzt.

„Der Sultan ist ein guter Mann“, radebrecht Hamid in gebrochenem Englisch und reckt stolz den Daumen nach oben: „Sogar reicher als der König von Saudi-Arabien.“ Hamid ist Taxifahrer und scheint seinen Job zu genießen. Kein Wunder: Statt sich mit einer Limousine durch die staugeplagte Hauptstadt Bandar Seri Begawan quälen zu müssen, flitzt er mit einem schnittigen Holzboot über die Fluten des Sungai Kedayan und des Sungai Brunei.

Hier an der Mündung der beiden Flüsse befindet sich die bemerkenswerteste Attraktion des Landes: „Kampong Ayer“ – eine der größten und ältesten Pfahlbausiedlungen der Welt.

Als „Venedig des Ostens“ beschrieben die Seeleute, die es als erste Europäer im 16. Jahrhundert in das Sultanat verschlagen hatte, das „Wasserdorf“. Der Italiener Antonio Pigafetta, der im Gefolge Magellans segelte, schätzte 1521 die Bevölkerung der Siedlung auf 25.000 Familien. Tatsächlich beherbergte Kampong Ayer damals 250.000 Menschen. Sie war das Zentrum des riesigen Reiches Brunei, das sich über die gesamte nördliche Hälfte Borneos erstreckte und der Insel ihren Namen gab. Die einstige Größe ist inzwischen Vergangenheit. Aber 300.000 Bruneier leben auch heute noch in den Stelzenbauten vor den Toren von Bandar Seri Begawan.

40 PS drücken das Bootsheck tief ins grünblaue Gewässer. Hoch spritzt die Gischt um den stromlinienförmigen Bug. In Hamid scheinen Piloten-Qualitäten zu schlummern: Genußvoll demonstriert er das Beschleunigungsvermögen seines Gefährts, schießt in atemberaubendem Tempo durch die Kanalgassen und unter den Holzstegen hindurch.Auf dem schwimmenden Markt am Festlandgestade feilschen Fischer mit Hausfrauen um den Preis für ihren Fang. Hamid deutet auf eine kleine Moschee, die Schule und die Feuerwehr: Wie die anderen Pfahlbauten thronen auch sie auf hölzernen Stelzen.

Bestrebungen, die Bewohner von Kampong Ayer auf das Festland umzusiedeln, wurden angesichts ihrer „Wasserverbundenheit“ schnell aufgegeben. Statt dessen ließ die Regierung unter dem Netz der Holzstege Strom- und Wasserleitungen verlegen. Wenn auch in dem Gewässer zwischen den Hauspfeilern Unrat und Müllberge dümpeln und an mancher Holzbehausung der Zahn der Zeit nagt, leiden die stolzen Pfahlhausbewohner kaum an Mangel: dicke Teppiche polstern die Wohnzimmer, überdimensionierte Fernsehantennen zieren die Dächer, und bei einem „Landgang“ warten an der vollgeparkten Uferpromenade gut gepflegte Autos auf ihre Eigentümer.

100.000 Automobile zählt „Brunei Darussalam“ – bei einem Straßennetz von weniger als 1.000 Kilometern sind verstopfte Straßen an der Tagesordnung. Abendliche Stadtrundfahrten im eigenen Luxusgefährt zählen zu den wenigen Vergnügen, denen die Bruneier im streng islamischen Sultanat frönen können. Alkohol ist seit einigen Jahren aus dem Reich von Sultan Bolkiah verbannt. Der „Nachtmarkt“ schließt um 10 Uhr abends.

Während sich seine Untertanen ins angrenzende Malaysia aufmachen müssen, um ihren Gelüsten nach Amüsement nachzugehen, bedient sich der Sultan seines Airbusses, um in eine seiner rund um den Globus verteilten Luxusvillen zu gelangen. „Auch der reichste Mann der Welt kann nicht gleichzeitig in zwei Betten schlafen, aber er kann so nahe daran kommen wie möglich“, schreibt James Bartholomew, Autor einer in Brunei verbotenen Sultan-Bolkiah-Biographie: „Er schläft in möglichst vielen verschiedenen Betten hintereinander.“

Seinen königlichen Palast in der Heimat ließ sich der Monarch pünktlich zur Erklärung der Unabhängigkeit 1984 von einem philippinischen Stararchitekten errichten. Der sparte weder an Marmor noch an Gold und Edelhölzern und soll den Etat von 250 Millionen Dollar für das 1.778-Zimmer-Labyrinth um einiges übertroffen haben. Touristen können den Prunkbau meist nur von außen bewundern: Nur einmal im Jahr, während der Feiern im Anschluß an den Fastenmonat Ramadan, veranstaltet der Sultan im größten Palast der Welt einen Tag der offenen Tür.

Wo das Geld regiert, sind bekanntlich auch Sorgen. Gelegentlich scheinen dem 46jährigen Potentaten die Ideen auszugehen, mit welchem Luxusspielzeug er sich denn noch beglücken könnte. Die Armada der Edelkarossen, die samt Technikern aus den jeweiligen Herkunftsländern die Palastgaragen füllen, wird immer unübersichtlicher.

Die kleine Armee Bruneis – neben Polo eines der Lieblingshobbys des Sultans – ist bis an die Zähne mit modernstem Waffenarsenal ausgerüstet. Ein hochmoderner Flughafen, eine eigene Airline, mit Gold überzogene Moscheenkuppeln, ein Zweit- und Drittpalast – es gibt nichts, was der Sultan nicht schon hätte.

Quelle seines Reichtums ist das Öl. Seit den zwanziger Jahren fördert Shell zum Wohle des Sultanats und der eigenen Bilanzen das schwarze Gold. Doch trotz seines Wohlstandes sieht sich Sultan Bolkiah, dessen voller Titel 25 Namensteile umfaßt, kaum mit Mißgunst konfrontiert. Denn auch seine Landeskinder läßt der Herrscher nicht darben.

Neben der Steuerfreiheit beglückt das Sultanat seine Einwohner mit allen erdenklichen Segnungen eines Sozialstaats: freie ärztliche Versorgung und Schulbesuch; Vollstipendien für das Studium im Ausland; Subventionen für Benzin und Lebensmittel; zinslose Kredite für den Häuser- und Autokauf. Seine Beamten versorgt der Staat noch mit weiteren Wohltaten: Wohnungen zu Dumpingpreisen; alle drei Jahre Freitickets für einen Familienurlaub an einem beliebigen Ort in Asien; nach zehn Jahren Dienst Anspruch auf einen staatlich gesponserten Europaurlaub; und nach fünfzehn Jahren steht dem treuen Staatsdiener gar eine Pilgerreise nach Mekka zu. Wen wundert's, daß die meisten Landeskinder eine ruhige Karriere in einer der überbesetzten Behörden anstreben: 40 Prozent der einheimischen Arbeitskräfte sind beim Staat beschäftigt.

Doch über dem wohlbehütet- eintönigen Leben im Sultanat liegt ein unerfreulicher Schatten: Die Ölvorräte neigen sich dem Ende entgegen. In zwanzig bis dreißig Jahren dürften die sprudelnden Geldquellen versiegen. Deshalb sucht das Sultanat schon heute Ausschau nach anderen Einkommensmöglichkeiten. Der Versuch, die Ökonomie zu diversifizieren, bereitet den Wirtschaftsstrategen Bruneis indes Schwierigkeiten. Arbeitskräfte lassen sich nur mit Mühe in die private Wirtschaft locken. Der Mangel an qualifizierter Arbeitskraft, hohe Lohnkosten, die Geheimniskrämerei der trägen Verwaltung und der kleine Binnenmarkt sind für potentielle Investoren alles andere als attraktiv.

Auch wenn die Ansiedlung neuer Industrien nicht so schnell gelingen sollte, muß es den Bruneiern vor der Zukunft nicht bange sein: Allein von den Zinsen seiner Auslandsinvestitionen kann das Land noch einige Jahre leben. So sind die Bruneier mit ihrem Los zufrieden. Zarte Rufe nach Demokratie finden kaum Widerhall und werden von Seiner Hoheit mit eiserner Hand erstickt: Als eine nach der Unabhängigkeit zugelassene Partei es wagte, den gestrengen Herrscher zum Rücktritt als Premierminister aufzufordern, wurde sie kurzerhand aufgelöst und zwei ihrer Führer in den königlichen Kerker geworfen.

48 Meter erhebt sich die goldene Kuppel der Omar-Ali- Saifuddin-Moschee über das nahe gelegene Kampong Ayer. Das 1958 erstellte Gotteshaus ist das alles überragende Wahrzeichen der Hauptstadt. Dominierend auch die Stellung des Islams in Brunei: Mit gründlich demonstrierter Gottesfürchtigkeit will der Sultan fundamentalistischen Predigern der reinen Lehre den Wind aus den Segeln nehmen. Das Verbot der von Chinesen betriebenen Schweinezucht, das Entfernen christlichen Weihnachtsschmucks aus der Öffentlichkeit oder die Einführung getrennten Schulunterrichts für Jungen und Mädchen sind Anzeichen einer zunehmenden Islamisierung des Landes.

Mit frommen Worten beendet ein Prediger das staatliche Radio- und Fernsehprogramm um 22 Uhr. Unternehmungslustigen Besuchern bleibt nur noch das Schlürfen einer Cola an der Hotelbar. Trotzdem müssen notorische Nachtschwärmer nicht verzagen: Mit dem englischsprachigen Koran im Nachttisch des Hotelzimmers ist auch ein langer Abend im eigentümlichen Schlaraffenland des Sultans Bolkiah zu überstehen.