■ Marek Edelmann im Gespräch
: Alles zu seiner Zeit

Was bedeutete für die Juden im Ghetto die Welt außerhalb der Mauern? Stellte sie eine Hoffnung dar?

Das war Feindesland. Sie verstehen das nicht: Ein Feind ist nicht nur derjenige, der tötet, sondern auch derjenige, der gleichgültig ist. Sie waren Feinde in dem Sinn, daß sie dich getötet haben, wenn du vom Ghetto auf die andere Seite gelangt bist und gesagt hast, wer du bist.

Getötet oder nicht geholfen?

Das macht keinen Unterschied. Nicht helfen und töten ist das gleiche. Ich spreche nicht von heute, weil man heute auf der Straße gehen kann. Aber damals haben sie dich an der nächsten Ecke umgelegt, wenn dir keiner geholfen hat.

Warum brach der Aufstand erst so spät aus?

Was heißt hier spät! Warum gab es denn in Auschwitz keinen Aufstand, obwohl sie noch mehr geschlagen und gequält wurden? Weil es keine Möglichkeiten gab. Warum hältst du das denen in Auschwitz und Mauthausen nicht vor? Ich bin der Meinung, daß ein Aufstand zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen wäre. Du mußt bedenken, daß man uns noch einige Monate vor dem Ausbruch des Aufstands gesagt hatte, daß ganze Waggons mit Waffen unterwegs seien – aber sie kamen nicht an... 1942 haben bei irgendeinem jüdischen Treffen die Gläubigen gemeint, man solle nicht schießen, weil Gott das nicht gerne sähe. Alles zu seiner Zeit. So lange es noch etwas zu kaufen gab, war alles in Ordnung. Die ganze AK [Heimatarmee: größte bewaffnete polnische Widerstands-Organisation, die der Exilregierung in London unterstand] hatte Angst, daß ein Aufstand im Ghetto Warschau mitreißen könnte, und daß man sie dann abschlachten würde, weil die eine Front noch 500 und die andere 2.000 km entfernt war.

Das Gespräch mit Marek Edelmann, einem der Anführer des Ghettoaufstands, wurde von Anka Grupinska und Wlodzimierz Filipek 1985 geführt. Auszug mit freundlicher Genehmigung des Verlags Neue Kritik, FaM.