■ Die Rinderseuche BSE hat den europäischen Kontinent erreicht
: Alzheimer durch BSE?

London (taz) – Vor dem Tor des Tierkrematoriums im walisischen Wrexham rattern die Aggregate, um die Rinderkadaver in den etwa zehn Waggons kühl zu halten. In den Hallen auf dem Hof des Krematoriums stapeln sich weitere Kadaver. Die Angestellten kommen mit der Verbrennung der toten Tiere kaum nach. Bevor die Kühe mit einem Gabelstapler in den Ofen geschoben werden, muß der Kopf abgetrennt werden. Er wird zur Untersuchung in ein staatliches Labor geschickt. Die meisten der Rinder sind an der Rinderseuche BSE (Bovine Spongiforme Enzephalopathie) gestorben, die im Volksmund „Verrückte-Kuh- Krankheit“ heißt. Eddie Clutton, der Besitzer des Krematoriums, kann keinen Rückgang des Geschäfts erkennen: „Wir haben seit einiger Zeit mehr Fälle aus Nordengland und Schottland und weniger aus dem Süden und Südwesten“, sagt er.

Die ersten BSE-Fälle in England wurden 1986 festgestellt. Innerhalb weniger Jahre hat sich die Krankheit explosionsartig ausgebreitet. Bis heute sind fast 100.000 Tiere daran gestorben, pro Woche kommen 885 Fälle dazu. Ein Drittel aller englischen Milchbetriebe ist von der Krankheit befallen. Wegen der langen Inkubationszeit von durchschnittlich vier Jahren und der höheren Lebenserwartung von Milchvieh im Vergleich zu Schlachtvieh kommt BSE vorwiegend bei Milchkühen vor. Die Behauptungen der britischen Regierung, die 1990 einen drastischen Rückgang der BSE-Erkrankungen prophezeite, haben sich als falsch erwiesen.

Die optimistische Prognose beruhte damals auf der Tatsache, daß die Krankheit durch proteinhaltige Futtermittel, denen infizierte Schafinnereien beigemischt wurden, auf Rinder übertragen wurde. Bei Schafen gibt es bereits seit 250 Jahren die BSE-verwandte Traberkrankheit oder Scrapie. 1981 wurde das Verfahren zur Herstellung der Futtermittel aus Profitgründen vereinfacht, der Erreger nicht mehr abgetötet. 1988 wurde ein Verbot erlassen, den Futtermitteln tierische Abfälle beizumischen. Dennoch steigt die Zahl der BSE-Fälle weiter.

Der Mikrobiologe Richard Lacey von der Universität Leeds ist deshalb davon überzeugt, daß neben den Futtermitteln vor allem eine vertikale Übertragung verantwortlich ist: „Der Erreger wird von der Mutter auf das Neugeborene übertragen. Das geschieht höchstwahrscheinlich durch das Blut, möglicherweise auch durch die Plazenta“, sagt Lacey. „Außerdem kann das Tier den Erreger über das Gras, das durch Exkremente kontaminiert sein kann, aufnehmen.“ Über die Art des Erregers sind sich die Experten nicht einig. Die einen glauben, daß die Krankheit durch ein reines, körpereigenes Protein, das Prion-Protein, ausgelöst wird, andere sind davon überzeugt, daß der Erreger seine eigene Geninformation, also eine Nukleinsäure, besitzen muß. Fest steht, daß der Erreger gegen Hitze, Bestrahlung und chemische Inaktivierung überaus resistent ist und selbst im Boden vergraben jahrelang überlebt.

Die Sorge, die die Bevölkerung nach Veröffentlichung der neuen BSE-Zahlen beschäftigt, ist jedoch weniger die Frage nach der Art des Erregers als nach der Übertragbarkeit auf den Menschen.

Beim Menschen gibt es die seltene Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die ähnliche Symptome wie BSE und Scrapie aufweist und vermutlich durch den gleichen Erreger ausgelöst wird. Ähnliches gilt für die Alzheimersche Krankheit. Professor W.-D. Möller, Leiter des Creutzfeldt-Instituts in Kiel, sagt: „Die Alzheimer-Erkrankung ist meines Erachtens das Problem des Jahres 2000, und zwar wird die Anzahl der Alzheimer-Kranken mit großer Wahrscheinlichkeit die der Aids-Patienten übertreffen. Zur Zeit dürften wir etwa 1,4 Millionen Alzheimer-Patienten in Deutschland haben. Die bovinen Enzephalopathien sind meines Erachtens insofern für die Alzheimer-Forschung interessant, daß möglicherweise die Prione – das sind die Erreger – auch Alzheimer auslösen können.“

Obwohl der BSE-Erreger die Artenbarriere übersprungen hat– Mäuse, Katzen, Nerze, Kudus und Menschenaffen sind unter anderem befallen worden –, bestreitet die britische Regierung kategorisch, daß BSE auch auf den Menschen übertragen werden kann. Der Chefveterinär der britischen Regierung, Keith Meldrum, sagte: „Einige Leute haben behauptet, daß der Verzehr von Kuhaugen die Krankheit auslösen kann. Soweit ich von Medizinern weiß, ist das nicht der Fall.“ Lacey sagt jedoch: „Die britische Regierung scheint in Hinblick auf die Augen verwirrt zu sein. Einerseits sagt sie den Schulen, sie dürfen sie im Biologieunterricht nicht mehr verwenden. Andererseits sind Kuhaugen kein verbotener Abfall, sie werden legal bei der Wurstherstellung verwendet.“

BSE hat sich inzwischen auch auf das europäische Festland verbreitet. Der erste Fall wurde im Herbst 1990 im Berner Jura diagnostiziert. Seitdem sind mehr als 30 Fälle hinzugekommen. Marc Vandevelde, Neuropathologe an der Universität Bern, sagt: „Es ist anzunehmen, daß die Tiere auch über das Futter angesteckt wurden. Woher das Futter kam, ist sehr, sehr schwer nachzuvollziehen. Ein Teil des Fleisch- und Knochenmehls wurde zweifellos importiert, wobei nur eine sehr kleine Menge nachweislich direkt aus England importiert wurde.“

Nach dem Futtermittelverbot in England ist der Export von englischen Futtermitteln in andere europäische Länder, vor allem nach Frankreich und in die Niederlande, allerdings sprunghaft angestiegen. „Der eigentliche Skandal, vor dem wir hier stehen, ist die Tatsache, daß trotz eines entsprechenden Votums im Agrarministerrat, die Verwertung von Tiermehlen zu verschärfen und die Standards nach oben zu fahren, das heute nach wie vor nicht gültig ist“, sagt der Europaabgeordnete Reimer Böge von der CDU, der im Landwirtschaftsausschuß arbeitet. „Es ist ein Skandal, daß aus England Tiermehle nach Holland und nach Frankreich exportiert werden, nachdem man bei sich selbst die Verfütterung verboten hat. Selbst 1992 sind in diese beiden Länder Tiermehlexporte von etwa 2.500 Tonnen gelaufen.“

Der Münchner Epidemiologe Oskar-Rüger Kaaden glaubt jedoch nicht an eine ähnliche Ausdehnung von BSE in Deutschland wie in Großbritannien: „Zum einen findet in der Bundesrepublik eine sogenannte Lebendbeschau aller Schlachttiere statt. Zum zweiten, und das ist ganz wesentlich, besteht seit vielen Jahren in Deutschland die Vorschrift, daß gestorbene, verendete Tiere oder Abfälle von solchen in Tierkörperbeseitigungsanstalten unter Bedingungen verarbeitet werden, die eine Abtötung aller wesentlichen Krankheitserreger sicherstellen und nach heutigem Stand auch für BSE und Scrapie eine weitgehende Abtötung gewährleisten.“

Reimer Böge fordert dennoch: „Es ist notwendig, daß alle Bestände, in denen auch nur ein einziger BSE-Fall auftritt, getötet und aus der Nahrungsmittelkette entfernt werden müssen. Wenn dies politisch nicht möglich ist, bin ich dafür, daß der Bundesernährungsminister ein generelles Importverbot sowohl für Tiermehle als auch für Rindfleisch aus dem Vereinigten Königreich veranlaßt.“ Ralf Sotscheck