■ Interview mit Boris Pystiznew zum Geheimdienst KGB
: „Zerstört das Ungeheuer!“

Boris Pystiznew ist Vorstandmitglied der Bürgerrechtsgruppe „Memorial“ und Mitbegründer von „Bürgerkontrolle“ zur Auflösung des KGB.

taz: Herr Pystiznew, wer wie Sie einen Geheimdienst auflösen will, der muß ihn kennen. Was wissen Sie über den KGB?

Boris Pystiznew: Einiges. Der KGB war nicht nur ein schreckliches Ungeheuer, er war ein Werkzeug des Staatsterrors. Für die Gruppe „Bürgerkontrolle“ bedeutet KGB Bespitzelung, Verhaftung und Lagerhaft. Wir wissen, mit wem wir es zu tun haben.

In der DDR war der Staatssicherheitsdienst Schild und Schwert der Partei. Die Stasi ist folgerichtig mit dem Staatsapparat zusammen zugrunde gegangen. Welche Rolle spielt der KGB im gegenwärtigen Umbau der russischen Gesellschaft?

Vor der Perestroika herrschte zwischen KGB und KPdSU das gleiche Verhältnis wie in der DDR. Mit Beginn der Perestroika verlor der Staat dann zusehend Kontrolle über die Gesellschaft. Der KGB hat die Kontrolle aber nicht eingebüßt, er hat versucht, sie zu bewahren. Seine Tätigkeit ist heute nicht auf die Erhaltung des Staatsapparates, sondern auf den eigenen Erhalt ausgerichtet. Er hofft auf ein Regime, das glaubt, den Dienst weiter zu brauchen.

Nach der Wende sollte in der DDR die Stasi neu strukturiert, in einen Verfassungsschutz und einen Auslandsspionagedienst aufgeteilt werden. Diese Pläne scheiterten erst, als das System als ganzes abdanken mußte. Gilt es auch für den KGB, daß er erst dann aufgelöst werden kann, wenn der politische Prozeß einen unumkehrbaren Punkt erreicht hat?

Mit dem Zerfall der DDR hat die Stasi die Unterstützung und den Schutz von seiten des Staates verloren. Die alten Strukturen und die Interessen der Stasi sind damit abgestorben. Weggefallen ist auch die Abhängigkeit der DDR vom sowjetischen Regime. Die regierende Klasse dort hatte keinen vergleichbaren Herrn, wie es für die DDR der „große Bruder“ war. In Rußland können wir beobachten, wie im Laufe der letzten Jahre die Vertreter der alten Machtstrukturen ihre Farbe gewechselt und neue Funktionen übernommen haben. Es ist eine Illusion zu glauben, daß nach dem Putschversuch im August 1991 Demokraten an die Macht gekommen sind. Wir hoffen sehr, daß Jelzin am 25. April das Referendum gewinnen wird. Das wird zwar kein Sieg der Demokraten sein. Aber wenn er gewinnt, wird er Rücksicht auf die Demokraten nehmen müssen. Es wird dann – wie nach dem Putsch – eine kurze demokratische Euphorie geben. Wir müssen versuchen, diesen Zeitpunkt zu nutzen, um den KGB zu zerstören.

Jelzin ist aber auch darauf angewiesen, von Militär und KGB toleriert zu werden?

Das Verhältnis Jelzins zum KGB ist interessant. Einerseits hat er alle Beziehungen zu den Bolschewiken abgebrochen. Zum KGB-Chef hat er aber Krjutschkow ernannt, der schon 1956 in Ungarn als Henker bekannt wurde und die rechte Hand Andropows war. Als Parteisekretär in Swerdlowsk meinte Jelzin noch, daß man den KGB nicht mehr brauche. Jelzin hat aber alles unternommen, um den KGB zu erhalten. Im Herbst 1991 hat er einen Ukas unterzeichnet, nach dem der KGB und das Innenministerium zu einem Ministerium vereinigt wurden. Das war ein sehr gefährlicher Schritt. Schon zu Stalins Zeiten wurde der Geheimdienst NKWD mit dem Volkskommissariat für innere Angelegenheiten zusammengefaßt. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß der KGB das Ministerium dominiert. Alle Reformen, etwa im Justizvollzug, wurden anschließend eingestellt. Binnen eines Monats mußten alle Reformer das Innenministerium verlassen. Erst danach hat dann das neu geschaffene Verfassungsgericht in seiner ersten Entscheidung den Ukas als verfassungswidrig aufgehoben. Zwei Monate später wurde ein von Jelzin eingebrachtes Gesetz zur Rehabilitierung der Opfer des politischen Systems verabschiedet. Von den Tätern ist in dem Gesetz aber an keiner Stelle die Rede. Jelzin versucht, den KGB an keiner Stelle zu irritieren.

Hat es im August 1991 nach dem gescheiterten Putsch eine realistische Chance gegeben, den Geheimdienst aufzulösen?

Es hätte die Möglichket gegeben. Nach dem Putsch verfiel man aber der Illusion, der Geheimdienst werde sich auf natürliche Weise von selbst auflösen. Nach dem August wurden verschiedene Ausschüsse gebildet, die den versuchten Staatsstreich untersuchten. Vier Monate später gab die damit beauftragte Kommission bekannt, der KGB habe beim Putsch die entscheidende Rolle gespielt. Damals hätte man handeln müssen.

Und wohin mit den Hunderttausenden KGB-Leuten?

Es herrscht in Rußland die Menung vor, man dürfe die Tschekisten nicht in die Enge treiben und den Geheimdienst nicht sofort auflösen, weil die Mitarbeiter sonst zu allem fähig wären. Danach dürfte man aber auch keinen Henker hinter Gitter bringen, weil der sonst noch mehr Menschen umbringen könnte. Eine Auflösung des KGB muß über die administrative Ebene laufen. Der Dienst muß zur verbrecherischen Organisation erklärt werden, auch weil er als Rechtsnachfolger die Verbrechen der Vergangenheit nicht verurteilt hat. Mit einem Überprüfungsgesetz muß dann für eine gewisse Zeit verhindert werden, daß die ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiter staatliche Posten oder Hochschulfunktionen bekleiden.

Können Sie sich vorstellen, daß in Rußland die Archive des KGB den Opfern zugänglich gemacht werden?

Schon nach dem Putsch hatte Jelzin am 24. August 1991 eine Verfügung erlassen, nach der die Archive geöffnet werden sollten. Dieser Ukas wurde aber auf allen Ebenen sabotiert. Lediglich in Moskau sind die Archive ein klein bißchen geöffnet worden.

Sollten die Denunzianten öffentlich genannt werden?

Würden die Listen der Informanten und Denunzianten veröffentlicht, würde das die bürgerlichen Grundrechte in großem Umfang verletzen. Man darf die Schuld eines professionellen Seelenfängers nicht mit der Schuld eines Menschen vergleichen, der vielleicht freiwillig gehandelt hat oder zu einer Mitarbeit gezwungen wurde. Als ich mit Freunden in Untersuchungshaft saß, hat einer unserer Bekannten dem KGB alles erzählt, was von ihm verlangt wurde. Er war der einzige Sohn seiner Mutter, die nicht aufstehen konnte und unter Diabetis litt. Er mußte seiner Mutter mehrmals am Tag Insulin-Spritzen verabreichen. Er wurde vom KGB vorgeladen. Als er gehen wollte, weil er seiner Mutter eine Spritze geben mußte, hat der Ermittlungsrichter erklärt, du gehst hier erst raus, wenn du alles unterzeichnet hast. Um zwei Uhr nachts hat er dann alles unterschrieben, was von ihm verlangt wurde. Ich kann ihn deswegen nicht beschuldigen – man darf von den Menschen nicht fordern, daß sie Helden sind. Deshalb bin ich gegen eine generelle Veröffentlichung alle Spitzel-Namen.

Von Brecht stammt der Satz: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Hat die Bevölkerung nicht andere Probleme, als den KGB aufzulösen?

Ich glaube, wir sollten Brecht nicht als letzte Instanz betrachten. Die politische und die wirtschaftliche Entwicklung müssen parallel verlaufen. Auch wenn das schwierig ist. Interview: Otto Diederichs

und Wolfgang Gast