Afghanistan im Jahre eins

■ Machtkampf der Mudschaheddin / Frieden in weiter Ferne

Neu Delhi (dpa) –Vor genau einem Jahr, am 16. April 1992, endete die Herrschaft der Kommunisten in Afghanistan. Präsident Mohammed Nadschibullah rettete sich in ein UNO-Gebäude in Kabul, und da sitzt er noch. Neun größere Gruppen von Mudschaheddin begannen unmittelbar im April, die Hauptstadt und das Land unter sich aufzuteilen. Die vier wichtigsten Gruppen sind bis heute jene mit einem erklärten ethnisch/religiösen Rückhalt. Da ist zunächst die Hisb-i-Islami von Gulbuddin Hekmatjar, der, obwohl von menschenverachtender Grausamkeit, von den meisten Mitgliedern der paschtunischen Mehrheitsbevölkerung als einer der ihren betrachtet wird. Sein Erzfeind ist der Tadschike Ahmed Shah Massud, der Hekmatjars Truppen an den Stadtrand vertrieb. Im Norden des Landes hat Usbekengeneral Raschid Dostam nach wie vor das Sagen. Zusehends stärker werden die vom Iran unterstützten Schiiten.

Um diese vier Mudschaheddintrupps gruppierten sich in den vergangenen Monaten immer wieder Koalitionen mit kleineren Partnern jeder Couleur. Doch keine brachte eine funktionsfähige Regierung für das zerstörte Land am Hindukusch zustande. Im Gegenteil: Die Uneinigkeit der Mudschaheddinführer führte mehrfach zu wochenlangen Beschießungen der Hauptstadt, Tausende starben, Zigtausende verließen die Stadt. Die Rückkehrwelle der fünf Millionen außer Landes lebenden Flüchtlinge wurde immer wieder gestoppt, in den letzten Monaten flüchteten erneut etwa 70.000 Afghanen, darunter nach letzten Informationen fast die gesamte verbliebene Schicht von Intellektuellen. Unterdessen kommt der Wiederaufbau nicht voran. Kein Geberland will Geld in ein Land pumpen, von dem niemand weiß, wann der Bürgerkrieg dort beendet sein wird. Viele Afghanen haben sich nun auf den Opiumanbau verlegt. Die zerschossene Hauptstadt Kabul zerfällt weiter. Heinz-Rudolf Othmerding