■ Kommt es zu einer geregelten Übergabe mit entsprechender Evakuierung durch die UNO oder wird Srebrenica durch die serbischen Truppen überrannt? Am Freitag nachmittag gab es offenbar für die Enklave nur noch diese Alternativen.
: Mit Srebrenica fällt ganz Ostbosnien

Die seit Monaten von Truppen der international nicht anerkannten „Serbischen Republik Krajina“ belagerte muslimische Enklave Srebrenica stand am Donnerstag Nachmittag kurz vor dem Fall. Nach Angaben des UN- Hauptquartiers im ehemaligen Jugoslawien stehen serbische Truppen wenige Kilometer vor dem Stadtzentrum. Auch die Verhandlungen über eine Evakuierung der über 60.000 in Srebrenica eingeschlossenen Kriegsflüchtlinge, die nun von den muslimischen Behörden des eingeschlossenen Ortes angeboten werden, deuten auf eine Niederlage hin.

Nur noch das nackte Leben soll gerettet werden, der Trotz, zu bleiben, nicht zu gehen, auszuharren in den Mauerresten, ist nach den erneuten Bombardements offenbar gebrochen.

Das Ziel der serbischen Politiker, Ostbosnien von der muslimanischen Bevölkerung zu säubern, wird wohl erreicht werden. Schon verlautbarte der Vertreter des UNO-Flüchtlingskommissariates (UNHCR) im ehemaligen Jugoslawien, Cedric Thornberry, ein Konvoi mit 50 Lastwagen sei in der serbischen Hauptstadt Belgrad zusammengestellt worden, um die überlebenden ZivilistInnen aus Srebrenica zu evakuieren.

Noch vor einer Woche hatten sich die muslimischen Behörden Srebrenicas geweigert, Evakuierungen zuzulassen. Für die Regierung in Sarajevo ist klar, daß das Gebiet um die ostbosnische Stadt verloren ist, wenn erst einmal die Bevölkerung die Enklave verlassen hat. Die verbliebenen 5.000 Kämpfer verfügen nicht mehr über die Munition, um dem serbischen Druck zu widerstehen. Daran wird auch die Tatsache, daß Srebrenica nach dem Vance-Owen-Plan den Muslimen zusteht, nichts mehr ändern.

Da bisher die Zeichen, die aus Washington gegeben werden, nicht so deutlich sind, als daß die serbische Seite von ihrem Vormarsch ablassen würde, ist ein weiteres strategisches Ziel erreicht. Würde Srebrenica von Serben kontrolliert, wäre auch die wichtige Verbindung von Serbien nach Sarajevo beziehungsweise nach Pale, dem jetzigen „Regierungssitz“ der selbsternannten serbischen Republik in Bosnien-Herzegowina, hergestellt. Weiterhin würden die schon im Vorjahr von Muslimanen „gesäuberten“ Gebiete um Foča und die serbisch dominierten Gebiete der Ostherzegowina direkt mit Serbien verbunden sein. Wenn dann noch der Korridor bei Brčko von der Welt anerkannt würde, wäre auch die bosnische Krajina und damit die international nicht anerkannte „Serbische Republik Krajina“ in Kroatien mit der Republik Serbien verbunden. Es fehlt nur noch der Durchbruch zur Adria, um den Traum von Großserbien zu erfüllen. Die serbischen Militärs in der kroatischen Krajina haben in den letzten Wochen keinen Zweifel daran gelassen, daß die kroatischen Küstenstädte Zadar und Šibenik weiterhin erobert werden sollen. Trotz der Verhandlungen entlang der Weltsicherheitsrats- Resolution 802, die mit der Vereinbarung abgeschlossen wurden, daß die kroatischen Serben ihre Artillerie der UNO unterstellen und andererseits die kroatische Seite die im Januar zurückeroberten Gebiete im Hinterland der Küste räumt, wird in der Region geschossen. Da selbst Dubrovnik und die umliegenden Städte und Dörfer beschossen werden, ist auch der südlichste Zipfel Kroatiens unter Druck geraten. Die montenegrinischen Nationalisten haben ebenfalls noch nicht aufgegeben, diesen Teil der Küste für sich zu erobern.

Es gehört wohl zu der besonderen Tragik Bosniens, daß seit November letzten Jahres auch die Spannungen zwischen Kroaten und Muslimanen angestiegen sind. Der Vance-Owen-Plan hat die kroatische extremistische Führung der selbsternannten Republik „Herceg-Bosna“ dazu verführt, „die Kontrolle über die uns zugesprochenen Gebiete“ zu verlangen. Selbst die mehrheitlich von Muslimanen bewohnte Stadt Travnik soll der Kontrolle der bosnischen Armee entzogen werden. Diese Auseinandersetzung, der Krieg im Kriege, wird wohl als einer der großen Fehler der kroatischen Politik in die Geschichtsbücher eingetragen werden müssen. Mit der selbstverschuldeten Schwächung Bosniens, die zum Fall von Srebrenica beigetragen hat, gerät nun auch die kroatische Küste erneut in das Fadenkreuz der serbischen Eroberungspolitik. Erich Rathfelder, Split