An das gesprochene Wort gebunden

■ Nett sind sie, die Kindesmörder: Charlotte Kleist inszenierte 'Das stille Kind– von Martin Crimp im Malersaal

inszeniert Das stille Kind
von Martin Crimp im Malersaal

Das stille Kind ist tatsächlich sehr still. Es ist weder zu sehen noch zu hören. Statt dessen zeigt der junge britsche Autor Martin Crimp Geplänkel im Wohnzimmer des jungen Paares, Geplauder mit den Nachbarn im Sozialbau. Dazwischen eilt die Mutter von der Bühne in das Kinderzimmer, weil die Kleine nicht schlafen will. Und ihrem Lebensgefährten Nick kommt die Wut, denn das Kind benimmt sich nicht seinen Vorstellungen gemäß. Irgendwann ist das Kind dann tot.

Martin Crimp hat Das stille Kind um sein Zentrum, die Kindesmißhandlung, die zur Kindstötung führt, herum geschrieben. Leicht zu sagen, was das Stück nicht ist: Reality-Theater. Die Tat selbst bleibt ausgespart. Nick, der Täter, und die Mutter, die nichts dagegen unternimmt, werden nicht zu Monstern stilisiert. Der Ruf nach Bestrafung wird von einer alten Schachtel vorgetragen, die sich mit Gewalt im Fernsehen beruhigt.

Schwer zu sagen, was das Stück ist. Eine neunzigminütige Miniatur, die die Hintergründe bloß antippt. Eine Studie in Realismus, die die Figuren mit knappen Strichen umreißt. Ein Blick in die Wüste der Sozialkontakte.

Vielleicht enthielten die Szenen, in der Schwebe gehalten, einige leuchtfähige Nuancierungen. Vielleicht enthüllte sich der Schrecken unter der Oberfläche, wäre die realistische Sprache durch Bildfindungen und Raumbeziehungen aufgebrochen. Charlotte Kleist allerdings hat das Stück mit einer allzu starren, an das gesprochene Wort gebundenen theatralen Phantasie umgesetzt.

Das von horizontalen und vertikalen Linien und der Zentralperspektive dominierte Bühnenbild rastert den Zuschauerblick ein. Als hätte die Handlung das Gewicht einer griechischen Tragödie (wenn nicht gar der Lindenstraße), folgt Szene auf Szene mit großer Ernsthaftigkeit. Dazwischen Dunkel mit Musik. Diese Wohlgeordnetheit findet im Spiel aber kein Gegengewicht, der Sound der Ernsthaftigkeit wird vom Geschehen nicht getragen. Und für differenziertes Spiel lassen Autor und Regisseurin wenig Raum.

Die Nebenfiguren werden an der kurzen Leine geführt. Monica Bleibtreu und Jacques Ullrich als Nachbarn müssen mit reduzierter Mimik und Gestik auskommen. Und Catrin Striebeck und Josef Bilous als junges, überfordertes Paar

1bleiben zu sehr auf das Kind, das nicht da ist, orientiert, als daß sie als Figuren für sich interessierten. Selbst Nicks Wutausbrüche geraten seltsam steril.

1Man mag es Kleist als Verdienst anrechnen, sich nicht in die Groteske oder das sogenannte kraftvolle Spiel gerettet zu haben. Auch die Gefahr des Sozialkitsches um-

1geht sie größtenteils. Aber darüber hinaus stellt sie wenig her. Das Gewaltpotential der Kleinfamilie wird nicht erfahrbar. Nett sind sie, die Kindsmörder. Dirk Knipphals