Noch sind die Reinigungsverfahren viel zu teuer

Serie: Die Last mit den Altlasten (fünfte und letzte Folge) / Die Probleme der Bodenreinigung beflügeln die Suche nach neuen Verfahren / Noch sind die Waschanlagen wenig leistungsfähig / „Vor-Ort-Sanierung" soll Kosten sparen  ■ Von Thomas Knauf

Was bei entsprechendem Aufwand heute alles technisch machbar ist, zeigt das einzige vom Bundesforschungsminister geförderte Berliner Projekt zur „modellhaften“ Altlastensanierung. Es läuft am ehemaligen Standort des Chemie-Unternehmens Kalisch an der Haynauer Straße in Lankwitz. Seit November 1991 sind dort Arbeiter dabei, den mit krebserregenden Kohlenwasserstoffen vergifteten Boden bis auf sieben Meter Tiefe auszuheben. Damit die Umwelt weitestgehend vor schädlichen Emissionen geschützt ist, geschieht dies nach einem bisher bundesweit einmaligen Verfahren: Der jeweils zum Bodenaushub anstehende Grundstücksteil wird durch eine unter leichtem Unterdruck stehende Hallenkonstruktion luftdicht abgeschirmt.

Die stählerne Halle leistete ihre guten Dienste schon beim vorherigen Abriß eines alten Betriebsgebäudes, in dem Dioxine und Furane steckten. Hinaus kommen die mit Atemmasken und schweren Schutzanzügen ausgerüsteten Arbeiter nur durch eine Dekontaminierungsschleuse. Auch die Container mit dem Erdreich werden vor dem Transport ins Freie gesäubert.

„Ganzheitliche Lösung“ vorerst gescheitert

Während sich das emissionsfreie Aushubverfahren bewährte, gibt es mit der Reinigung des Bodens diverse Probleme. Ursprünglich wollte man auch auf diesem Sektor im Hinblick auf die „ganzheitliche“ Sanierung eine Vorreiterrolle spielen.

Vorgesehen war, die auszuhebende Bodenmasse von insgesamt 42.000 Tonnen durch Kombination aller bekannten Bodenreinigungstechniken – sowohl Extraktions-/Waschverfahren als auch thermische und Bio-Verfahren sollten angewendet werden – quasi bis auf das letzte Erdkörnchen zu säubern, um sie nach der Behandlung wieder komplett in der Baugrube zu verfüllen oder wenigstens an anderer Stelle als Bau- oder Nutzmaterial einzusetzen.

Diese Pläne haben sich zerschlagen. Grund: Eine thermische Anlage zur Nachverbrennung von hochkonzentrierten organischen Reststoffen im Boden geht statt wie vorgesehen im Herbst 1992 erst im Frühjahr 1994 am Westhafen in Betrieb.

Wegen des fehlenden Platzes lassen sich die anfallenden Reststoffe nicht bis dahin zwischenlagern. Sie werden teils auf die Sondermüllkippe Schöneberg, teils auf die Kippen in Schöneiche und Vorketzin verfrachtet, wie der für das Modellvorhaben zuständige Mitarbeiter der Bauverwaltung, Horst Dingler, erklärte. Überschlägig berechnet muß man von dem ausgehobenen Erdreich gut 9.000 Tonnen aufgrund der nicht gegebenen Verbrennungsmöglichkeiten für teures Geld deponieren, so Dingler.

Reinigungsanlagen mit der Aufgabe überfordert

Daneben stellte sich schon bei den ersten Probeläufen heraus, daß eine in Spandau versuchsweise von der Firma Afu betriebene Hochdruck-Bodenwaschanlage technisch kaum zur Beseitigung des Giftstoffcocktails in der Erde geeignet war. Der an der Haynauer Straße ausgebaggerte Lehm und Geschiebemergel enthält nämlich sehr viele Bodenfeinanteile (das einzelne Korn ist kleiner als 25 tausendstel Millimeter), mit denen die Anlage nicht klarkam.

Der kostenintensive Waschvorgang hätte mehrmals wiederholt werden müssen, bis die Schadstoffe von den Bodenpartikeln abgelöst gewesen wären. Notgedrungen entschieden die Berliner Sanierungsexperten, daß der Boden per Lastwagen zu besser geeigneten Waschanlagen in Hamburg und Itzehoe geschafft wird, was trotz der höheren Transportkosten im Endeffekt immer noch billiger sein soll.

Von der bislang ausgehobenen Erdmenge wurden gut zwei Drittel in Norddeutschland gewaschen. Bloß etwa 7.000 Tonnen, die überwiegend mit Mineralölen kontaminiert sind, können in Grünau mit Hilfe von gefräßigen Bakterien biologisch gereinigt werden. Grob geschätzt werde von der für das Sanierungsvorhaben veranschlagten Summe von 68 Millionen DM jetzt die Hälfte für die Reinigung des Bodens draufgehen, so Horst Dingler aus der Bauverwaltung.

Waschen und verbrennen ist zu teuer

Bei den Sanierungsvorhaben auf dem Kalisch-Gelände wurde eins deutlich: Berlin braucht mehr leistungsfähige Bodenreinigungsanlagen, wenn in großem Stil an die Beseitigung von Altlasten gegangen werden soll. Laut der Umweltverwaltung haben die beiden in Berlin vorhandenen und eine noch im Bau befindliche Bodenwaschanlage einen zusammen jährlichen Durchlauf von 16.000 bis 18.000 Tonnen, was gemessen am Volumen des kontaminierten Bodens bei weitem nicht ausreiche. Flächen für weitere Anlagen sind jedoch rar, zumal dafür mit jeweils 10.000 Quadratmetern viel Platz gebraucht wird.

Von elf angedachten Standorten im Ostteil blieben so noch drei bis vier übrig, und die sind auch nicht sicher. Pankow und Treptow protestierten energisch gegen geplante Behandlungszentren. Ganze Kolonnen stinkender Lastwagen werden zu den riesigen Recyclingparks rollen, fürchten Anwohner wie Bezirkspolitiker. Gegen den Willen der Ostbezirke kann und will der Senat nicht über die strittigen Grundstücke verfügen.

Kostengründe sprechen gegen Reinigung

Die meisten der verunreinigten Böden können allerdings schon aus Kostengründen nicht gewaschen oder verbrannt werden. Umweltstaatssekretär Wicke zufolge kann das Waschen einer Tonne hochgradig vergifteten Erdreichs 500 bis 600 DM kosten. Übrig blieben rund 30 Prozent Restschadstoffe, deren Deponierung noch einmal 1.000 oder gar 2.000 DM verschlinge.

Wird schwermetallhaltige Erde gewaschen, bringt dies nach jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen auch neue Umweltrisiken. Der Wissenschaftler Bernd-Dieter Traulsen von der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft: „Schwermetalle können manchmal bis zu 90 Prozent aus Böden rausgewaschen werden. Der Rest aber, der in den Waschsanden drinbleibt, wird deutlich leichter verfügbar.“ Möglich sei, daß sich die Schwermetalle in tiefere Bodenschichten verlagern und somit ins Grundwasser dringen. Die thermische Bodenreinigung ist laut dem Sondergutachten „Altlasten“ des Bundestags- Sachverständigenrates für Umweltfragen am energieaufwendigsten und auch am teuersten, weil durch nachgeschaltete Reinigungsstufen ein hoher Aufwand zur Zerstörung oder Aufkonzentrierung der Schadstoffe betrieben werden muß. Auch bleiben zu entsorgende Filterstäube.

Umweltreinigung bringt neue Umweltgefahren

Den Fachleuten des Senats ist längst klar: Damit mehr Altlasten saniert werden können, müssen die Reinigungsverfahren deutlich billiger werden. Bei den horrenden Kosten könne man mit den Wasch- und Verbrennungsverfahren nur einen „Minibruchteil“ aller Altlastenstandorte sanieren, sagte Umweltstaatssekretär Wicke vor dem Umweltrat.

Geldsparende Methoden der „On-site“-Sanierung an Ort und Stelle sollen künftig primär zum Zuge kommen. Überlegt wird weiterhin, ob man aufbereitetes oder geringer belastetes Bodenmaterial beispielsweise auf zu rekultivierenden Grundstücken wieder „einbauen“ kann, was Deponieabgaben sparen würde.

Umweltabteilungsleiter Delhaes verwies in diesem Zusammenhang auch auf den schönen Begriff der „umweltverträglichen Ablagerungen“. Doch der Begriff führt auf ganz dünnes Eis. Formaljuristisch betrachtet, bleibt auch der gereinigte Boden so lange Abfall, bis er vermarktet wird. Und Abfälle dürfen laut dem strengen Abfallgesetz „nur in den dafür zugelassenen Anlagen oder Einrichtungen (Abfallentsorgungsanlagen) behandelt, gelagert und abgelagert werden“.

How clean is clean?

Wie in dem erwähnten Gutachten hervorgehoben wird, ist es vor allem schwierig zu entscheiden, welche Restkonzentrationen von Schadstoffen in Boden oder Grundwasser des sanierten Grundstücks je nach Nutzung verbleiben dürfen. „Dieses – auch mit dem Slogan ,How clean is clean‘ umschriebene – Problem muß für jeden Sanierungsfall gesondert gelöst werden, wobei besonders die lokal vorhandenen Hintergrundbelastungen einzubeziehen sind“, schreibt der Sachverständigenrat.

Teuren Bodenaushub überflüssig machen

Als „Pilotprojekte“ werden neue Sanierungstechnologien getestet, die bei erfolgreicher Anwendung den teuren Bodenaustausch überflüssig machen. So erproben drei Firmen im Auftrag der Umweltverwaltung an ihren Standorten in den alten Bundesländern, der Schweiz und Dänemark ein neues Verfahren zur Verfestigung von belasteten Schlämmen und pasteusen Schadstoffen. Mit dem Verfahren will man verhindern, daß die Schadstoffe im Boden auslaugen und das Grundwasser gefährden.

Größte Wertschätzung genießen Bakterien und Pilze, die das Gift im Boden einfach auffressen. Biologische Sanierungsmethoden sollen mit Vorrang weiterentwickelt werden, da keine oder nur geringe Schadstoffmengen übrigbleiben, und wenn, dann nur sehr wenige Chemikalien zugesetzt werden müssen.

„Biorotor“ hilft den Giftfressern

Versuchsweise findet eine solche Bio-Sanierung auf einem mit Teeröl verseuchten Chemiegrundstück an der Rudower Kanalstraße statt. Dort fanden sich im Untergrund bereits Mikroorganismen, so daß der Boden nicht ausgebuddelt werden mußte.

Zu dem hydraulischen Kreislaufkonzept gehört eine Grundwasser-Reinigungsanlage, in die ein „Biorotor“ integriert wurde. Unter optimalen Lebensbedingungen bilden die Mikroorganismen hier auf rotierenden Scheiben einen biologischen „Rasen“ aus. Somit werden die Schadstoffe nicht nur durch die Stimulation der Mikroorganismen im Untergrund abgebaut.

Um die Umweltprobleme von heute kümmern

Freilich sind Bakterienmischungen keine Wunderwaffen. „Mit biologischen Verfahren kann man kaum Schwermetalle und auch nicht chlorierte Kohlenwasserstoffe beseitigen“, dämpfte der Diplom-Ingenieur Dirk-W. Lante vom TU-Institut für Technischen Umweltschutz zu große Erwartungen. Lantes grundsätzlicher Meinung zum Thema ist schwer zu widersprechen: „Die Altlasten lenken, glaube ich, eher von unseren wirklichen Umweltproblemen ab. Was mich schwer stört ist, daß die umweltpolitischen Schwergewichte falsch gesetzt werden. Wir müßten dringend was gegen die Luftverschmutzung durch den Autoverkehr tun. Was wir heute produzieren, ist doch die Altlast von morgen.“

ENDE