Die Phrase von der Altersweisheit Von Ralf Sotscheck

Das britische Oberhaus ist genauso überflüssig wie das Königshaus – hat aber weit geringeren Unterhaltungswert. Vor kurzem debattierte die Fossilienrunde über ethnische Minderheiten, Jugendliche und innerstädtische Probleme. Ein potentiell spannendes Thema, zumal die Lords offenbar über den nötigen Sachverstand verfügen. „In meinem Beruf als Lehrer habe ich früher Jugendliche getroffen, meine Lords“, entpuppte sich der 63jährige Lord Elton als Experte. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht würde die Jugendlichen schon zur Räson bringen, gab er seine Erkenntnisse zum besten. Der Bischof von Sheffield trifft sogar heute noch gelegentlich auf Jugendliche: „Sie lungern auf der Kirchentreppe herum und trinken große Mengen Cider“, entsetzte sich der Greis in Schwarz. Und wer nicht Cider trinkt, raucht Cannabis oder spritzt Heroin – der Bischof verbriet sämtliche Klischees, die er in der Sun aufgeschnappt hatte. In diesem Augenblick erhob sich der vermutlich von Schlafstörungen gepeinigte Lord Bonham-Carter, murmelte etwas von „den Lehren von Los Angeles“ und ließ sich wieder in den Sessel plumpsen, wobei er fatal an den bebrillten Alten aus der „Muppet's Show“ erinnerte. Seine geriatrischen Kollegen brüteten minutenlang über den kryptischen Hinweis Bonham-Carters, bis sie von Baronin Hollis aus ihren Gedanken gerissen wurden. Die Baronin ist sozusagen das Küken des Altersheims: Sie ist unter 60 und kann mühelos zwei zusammenhängende Sätze formulieren, die sie hin und wieder gar mit einem Relativsatz garniert. Unglücklicherweise hält ihre Geisteskraft nicht mit ihrem rhetorischen Geschick mit. „Die Situation in den Innenstädten ist schlimm und wird immer schlimmer“, plapperte sie vor sich hin. Die Situation im Oberhaus wurde ebenfalls immer schlimmer: Lord Beaumont aus der Grafschaft Surrey im vornehmen Süden Londons ergriff das Wort. „Ich schaffe es nicht, von meinem Haus an diesen Ort zu gelangen, ohne Geld an Bettler loszuwerden“, stöhnte er, bevor er einräumte, daß das auch eine positive Seite habe: „Wenigstens ist es gut für meine Seele.“ Die Bettler Londons werden es mit Freude vernehmen und alles daransetzen, um dem alten Herrn zu seinem Seelenfrieden zu verhelfen. Der aufregendste Diskussionsbeitrag des Tages kam von Baronin Seear. Sie rappelte sich erstaunlich behende aus ihrem Sitz auf und schrie: „Es ist doch unheimlich aufregend, einen Bruch zu machen!“ Was hat die alte Dame bloß in ihrer Jugend getrieben? Mit ihren 79 Jahren kann sie sich jedenfalls wohl kaum noch an Regenrinnen hochhangeln. Bevor ihren KollegInnen die Restphantasie durchging, erklärte ihnen die Baronin jedoch, daß sie lediglich auf die Langeweile hinweisen wollte, die Jugendliche ins Verbrechen treibe. Glücklicherweise waren im Oberhaus keine Jugendlichen anwesend – sie wären angesichts der senilen Debatte unweigerlich zu Gangstern mutiert. Wer hat eigentlich die Phrase von der Altersweisheit erfunden? Es kann niemand gewesen sein, der jemals einer Oberhausdebatte beigewohnt hat. Die Lords verschlingen übrigens knapp 40 Millionen Pfund im Jahr. Eine Sitzung kostet demnach etwa 100.000 Pfund. Die Jugendlichen in den Innenstädten werden gewiß davon profitieren.