Die Titelhamster von Berlin

Mit einem 3:2 beim USC Münster gewinnen die Volleyballerinnen vom CJD Berlin nach Pokal und Europacup auch noch die Meisterschaft  ■ Aus Münster Holger Gertz

Die Show ist vorüber, die Musik ist aus, das Licht in der Halle wird langsam gedämpft. Jede Menge Konfetti und Sektpfützen noch auf dem Hallenboden, aber das Reinigungspersonal ist schon bei der Arbeit mit Besen und Feudel. Die Volleyballerinnen vom USC Münster und CJD Berlin, die gerade noch um den deutschen Meistertitel gestritten haben, sind längst unter der Dusche verschwunden. Nur Susanne Lahme sitzt noch in der Halle in ihrem durchgeschwitzten CJD-Trikot, schreibt das eine oder andere Autogramm, spricht den Reportern ein paar Sätze ins Diktiergerät, gelassen, freundlich, nicht sichtbar bewegt. Gewiß, überglücklich sei sie über das, was gerade passiert war, aber auch sehr müde: „So ein Spiel schlaucht schon gewaltig.“

Ermüdet von einem Finale, in dem um jeden Punkt bitter gekämpft wurde, fünf Sätze lang, 97 Minuten. 9:15 hatten die Berlinerinnen den ersten Satz wie den zweiten verloren, 4.500 Zuschauern in der Münsteraner Halle am Berg Fidel war klar, daß ihr USC- Team der Sieger sein würde, daß es die Niederlage aus dem Hinspiel in Berlin ausgleichen würde, um in einem Entscheidungsmatch doch noch die Meisterschaft zu gewinnen. Souverän legte Zuspielerin Beate Bühler die Bälle vor, die von Erna Brinkmann, Danja Müsch und Anne-Kathrin Schade zielsicher ins Feld der Berlinnerinnen gedonnert wurden. 12:9 lagen die Münsteranerinnen auch im dritten Satz vorn, aber plötzlich war alles wie abgeschnitten.

Wie konnte das passieren? Wieso gelang den Münsteranerinnen nichts mehr, wo vorher alles wie im Schlaf geklappt hatte? Wieso saßen plötzlich die Angriffsschläge von Berlins Janete Strazdina, welche Mächte dirigierten den Berliner Block immer an genau die genau richtige Position, um die von der anderen Seite des Netzes geschlagenen Bälle zurückprallen zu lassen? Wieso kippte das Spiel? Eigene Dummheit sei es wohl gewesen, „jede Menge Dummheit“, vermutete hernach Münsters Kapitänin Karin Steyaert; es mangele seinem Team an einer „Killerin“, die in kritischen Situationen die Bälle kaltblütig verwandelt, sagte USC-Coach Harry Brokking; „Mir ist schleierhaft, warum wir auf einmal nicht mehr da waren“, sagte Erna Brinkman.

Erhellenderes beizutragen hatte allein Berlins Trainer Volker Spiegel, 30 Jahre alt und in der Szene bekannt als Schleifer. „Er hat Mühe, sein Temperament zu kontrollieren“, sagt Susanne Lahme, und wenn er mal wieder losbrülle im Training, flössen gerade bei den Jüngeren oft die Tränen. Aber das härtet ab: „Meine Mannschaft hat gelernt, unter Druck zu bestehen“, sagt Spiegel. Ältere Spielerinnen wie Lahme, Maike Arlt oder Grit Naumann, gestählt noch in der Nationalmannschaft der erloschenen DDR, zehrten zudem von ihrer längjährigen Erfahrung. Schnell erkannt hätten die, daß ab dem dritten Satz die schulterverletzte Münsteranerin Steyaert Mühe hatte, die Aufgaben fachgerecht anzunehmen, daß „auch die Müsch anfing zu flattern und teilweise die Brinkman“. Folglich hätten sie alle Aufgaben auf jene Spielerinnen gezirkelt, deren Annahmeschwäche hätte sich, „wie das immer so ist“, auf den Block übertragen: „Im dritten Satz haben wir die Meisterschaft geholt.“

Exakt mit 15:12 Punkten, danach gab es ein 15:6 und ein abschließendes 15:11. Vorher hatten die CJD-Frauen schon den diesjährigen Europacup der Pokalsieger gewonnen und den deutschen Pokal: Gegen Schwerin machten sie ebenfalls aus einem 0:2 noch ein 3:2; „Unsere Kampfkraft“, sagt Spiegel, „ist unübertroffen.“ Genauso wichtig sei, daß alle Spielerinnen in der Mannschaft ihre Leistungsstärke verbessern konnten im vergangenen Jahr, sagt Spiegel, den es aufregt, daß alle den Erfolg immer nur auf Susanne Lahme zurückführen. Die, jüngst zur Volleyballerin des Jahres gekürt und von Bundestrainer Siegfried Köhler als „absolute Weltklassespielerin“ geadelt, sei zwar wichtig für das Team, aber andere seien es in gleichem Maße. Rita Bannwitz zum Beispiel hätte eine großartige Leistung vollbracht im Finale, werde aber immer übersehen: „Kleiner Tip, das ist unsere Nummer 5.“

Gefragt worden ist Frau Bannwitz trotzdem nicht, die Öffentlichkeitsarbeit beim CJD erledigt derzeit noch Susanne Lahme. Die hat schnell gelernt, sich auf westliche Gepflogenheiten einzustellen. Neben der Tätigkeit auf dem Volleyballparkett tritt sie gelegentlich als Model auf. Im Interview gibt sie sich freundlich, unverbindlich, ohne ihre Auskünfte jedoch in Platitüden zu kleiden. Keine Frage, Susanne Lahme ist ein Star, und als solcher macht sie sich in Zukunft rar in deutschen Sporthallen. In der nächsten Saison wird sie in der italienischen Liga spielen.