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Ein Machtmensch, der Reiche liebte

Türkischer Staatspräsident Özal gestorben / Von der Karriere im Schoß der Militärs zum aggressiven Tabubrecher / Sein Ziel: Die Türkei als neoliberale Regionalmacht  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der Chef der kurdischen Guerilla PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), Abdullah Öcalan, erfuhr die Todesnachricht in der libanesischen Bekaa-Ebene. Kurdenführer Öcalan sprach der „türkischen Nation“ sein „Beileid“ aus und würdigte den Verstorbenen. Der am Samstag in Ankara bei der Morgengymnastik auf einem Laufband an einem Herzinfarkt gestorbene türkische Staatspräsident Turgut Özal habe „Bedeutendes“ in der kurdischen Frage geleistet. Er sei ein Politiker gewesen, der nicht militärisch, sondern politisch an der Lösung der kurdischen Frage gearbeitet habe.

Während Öcalan im libanesischen „Terroristental“ sein Beileid aussprach, gingen in der türkischen Hauptstadt Ankara Zehntausende von Beileidstelegrammen ein. US- Präsident Bill Clinton rühmte Özal als „Politiker mit Visionen“, und Bundespräsident Richard von Weizsäcker formulierte: „Die Rückkehr zur Demokratie und die Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung werden stets mit seinem Namen verbunden bleiben.“ In der türkischen Tageszeitung Hürriyet hieß es, daß „einer der beiden großen Revolutionäre in der Geschichte der Türkei“ gestorben sei.

Der unaufhaltsame Aufstieg des Turgut Özal steht für einen gewaltigen Transformationsprozeß in der türkischen Gesellschaft. Bildlich gesprochen: er hat den Türken beigebracht, was Kapitalismus ist. Der Sohn einer armen ostanatolischen Beamtenfamilie rückte ehrgeizig an die Spitze der Macht. „Ich liebe die Reichen“, hatte Özal unverblümt eine seiner Devisen verkündet – als Manager von Konzernen, wo er es liebte, Gewerkschafter zu feuern, als Experte bei der Weltbank oder als Chef des mächtigen Metallarbeitgeberverbandes Ende der siebziger Jahre. Politik war für ihn nur das Mittel, damit Reiche Geschäfte machen können.

Özals erster Versuch, in die Politik als Kandidat der fundamentalistischen „Heilspartei“ in das Abgeordnetenhaus zu kommen, mißlang. Erst die putschenden Militärs des Jahres 1980 boten dem Mann, der sich nach den Fundamentalisten bei Ministerpräsident Süleyman Demirel anbiederte, eine Chance. Während Soldaten in den Straßen Linke jagten und und Politiker wie Demirel in die Verbannung geschickt wurden, wirkte Özal als wirtschaftspolitischer Berater der Militärregierung. Der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber und spätere US-Außenminister Alexander Haig setzte sich persönlich bei den Putschisten dafür ein, daß Özal bei den ersten Scheinwahlen 1983 eine Partei gründen durfte. Özal gewann die Wahlen. Als Ministerpräsident und als Staatspräsident nach 1989 drückte er der türkischen Politik den Stempel auf. Seinen Beitrag zur Demokratisierung, den Weizsäcker so rühmt, bestand wohl darin, daß der Mann, der im Schoß der Militärregierung politische Karriere gemacht hat, die Militärs in dem Augenblick zurückdrängte, als sie zum Hemmschuh für Wirtschaftsentwicklung wurden.

„Was ich in den USA gelernt und gesehen habe, habe ich in der Türkei angewandt“, sagte Özal. Er war der Architekt des Transformationsprozesses in der türkischen Ökonomie: freie Preise, freie Zinssätze, Streichung der Staatssubentionen, Konvertibilität der türkischen Lira, Liberalisierung des Außenhandelssystems. Autobahnen, Flughäfen, das Telekommunikationssystem und die hohen Exportraten hoben die türkischen Kommentatoren gestern als sein Werk hervor. Für den überzeugten Neoliberalen ging alles zu langsam. Er forderte sogar die Privatisierung des Bildungswesens.

Özal war der Tabubrecher in der türkischen Politik. Er flog PR- Experten aus den USA ein, betrieb Wahlkampf mit Videos und CDs, präsentierte sich in Jeans und T- Shirt, betete als Frommer in der Moschee und fand es gut, daß Ehefrau Semra Modell in Modezeitschriften stand. In seinem Beraterstab fanden sich Ex-Kommunisten, Sozialdemokraten ebenso wie fundamentalistische Politiker, die allesamt zum Liberalismus konvertiert waren. Das starre politische System in der Türkei, eine Erbschaft des Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk, hat er erschüttert.

Aggressiv hat er alles, was als gut und heilig in der türkischen Politik galt, angegriffen. Er betrieb Kriegspropaganda während des Golfkrieges und telefonierte täglich mit dem damaligen US-Präsidenten George Bush, während die Mehrheit der Bevölkerung und die alteingesessenen Politiker für Neutralismus stritten. Er forderte dazu auf, über eine Föderation mit den Kurden zu reden. Entsetzt schrieen Poliker und Kommentatoren auf. Die unnachgiebige Haltung des türkischen Staates in der Kurdenfrage war für Özal zuletzt nur dysfunktionaler Konservativismus, ein Hemmschuh für den Aufstieg der Türkei zur kapitalistischen Regionalmacht, wie es Balkankrise und Zusammenbruch der UdSSR möglich machen.

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