Keine Einladung für Überlebende des KZ Adler-Werke

■ Frankfurter Magistrat verschleppt seit zwei Jahren Einladung an Zwangsarbeiter

Frankfurt/Main (taz) – Im Umgang mit dem materiellen und geistigen Erbe aus NS-Zeiten haben sich die Magistralen der Stadt Frankfurt am Main schon immer schwergetan: Da wurde ein Neubau der Stadtwerke mit den Abteilungen „Gas und Wasser“ auf den Grundmauern des mittelalterlichen Judenviertels errichtet (Börnerplatz). Die Bagger rückten 1987 gegen die letzten Zeugnisse ghettoisierten jüdischen Lebens in Frankfurt vor. Die Städtischen Bühnen hatten zuvor schon mit der Aufführung von Rainer Werner Faßbinders Schauspiel „Der Müll, die Stadt und der Tod“ die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde provoziert. Und die Ausgrenzungskampagne der Frankfurter CDU gegen den Juden Daniel Cohn- Bendit im Kommunalwahlkampf 1989 klingt noch schräg im Ohr: Geschichtsbewußtlosigkeit in der prosperierenden Stadt der Banken und Werbeagenturen?

Daß es auch unter der rot-grünen Stadtregierung Anlaß zur Abmahnung in Sachen Trauer- und Erinnerungsarbeit an die Adresse der Magistralen gibt, haben jetzt die Autoren einer Dokumentation über das KZ-Außenlager in den Adler-Werken im Frankfurter Stadtteil Gallus offengelegt. In einem offenen Brief an Oberbürgermeister Andreas von Schoeler (SPD) beklagen Ernst Kaiser und Michael Knorn die „Fortdauer beinahe fünfzig Jahre währender Ignoranz gegenüber der Geschichte des Lagers und den Überlebenden“ durch die politische Führung der Stadt Frankfurt. Vor knapp zwei Jahren schon hatten sich Kaiser und Knorn an Kulturdezernentin Linda Reisch (SPD) gewandt und die Einladung der letzten Überlebenden des NS-Programms „Vernichtung durch Arbeit“ nach Frankfurt angeregt. Doch bis heute, so die Autoren, sei es bei einer „Verlautbarung“ aus dem Institut für Stadtgeschichte geblieben, in der die Einladung zwar in Aussicht gestellt und sogar ein Etatansatz für den Besuch mitgeteilt worden war. Tatsächlich sei aber „absolut nichts“ geschehen: „Soviel Nichtbeachtung ist unserer Meinung nach ein Symptom.“

In ihrem offenen Brief an den Oberbürgermeister klagen die Autoren der Dokumentation jetzt erneut die Einladung der von ihnen ausfindig gemachten elf Überlebenden des Terrors im Arbeitslager der Adler-Werke ein. Fünf der bis heute weder materiell entschädigten, noch moralisch rehabilitierten Ex-Arbeitssklaven leben in Polen. Sechs weitere in anderen osteuropäischen Ländern. „Angesichts des hohen Alters der Überlebenden müssen wir gegen die Zeit arbeiten“, schreiben Kaiser und Knorn dem Oberbürgermeister. Gerade deshalb sei es „empörend“, daß die Stadt noch immer keine konkreten Schritte unternommen habe, die Einladung endlich auf den Weg zu bringen. Schließlich sei die Stadt Frankfurt am Main nicht alleine durch ihren Namen mit ihrem einzigen KZ- Außenlager verbunden: „Die Stadtverwaltung war auf vielen Ebenen mit diesem Lager verwoben. Und die Häftlinge wurden auch außerhalb des Werks auf Straßen und Gleisanlagen zu Aufräumarbeiten eingesetzt.“ Auch hätten sich die BürgerInnen des Viertels an Hetzjagden auf entflohene Häftlinge beteiligt. Die ausgemergelten Gefangenen seien – „für alle sichtbar“ – zu Arbeitseinsätzen und zum Baden durch die Stadt getrieben worden. Häftlinge wurden „zur Abschreckung“ auch außerhalb der Werksmauern exekutiert.

Nach den Recherchen von Kaiser und Knorn war das erst 1944 eingerichtete Arbeitslager bei den Adler-Werken, in denen seinerzeit Schützenpanzermotoren und -fahrgestelle hergestellt wurden, das Lager mit der höchsten Todesrate aller KZ-Außenkommandos und aller Fabrikkommandos in Hessen. Es waren vor allem Aufständische aus dem Warschauer Ghetto, die von der SS über Dachau nach Frankfurt verschleppt wurden. Sie mußten unter unvorstellbar brutalen Bedingungen und in 12-Stunden-Schichten die Rüstungsproduktion bei den Adler- Werken mit aufrechterhalten. Bis Ende Januar 1945 waren von den Ende August 1944 nach Frankfurt deportierten 1.200 Zwangsarbeitern bei Adler schon 450 an Entkräftung gestorben oder von den Wachmannschaften, die sich aus SA-Werksangehörigen zusammensetzten, zu Tode geprügelt oder exekutiert worden. Aus Buchenwald rekrutierte die SS deshalb Ende Januar 1945 weitere 400 Häftlinge. Zu Kriegsende zählten die Alliierten alleine in Frankfurt 528 verscharrte Leichen – ohne die Toten, die auf den als „Himmelfahrtskommando“ bezeichneten Transporten von Buchenwald nach Frankfurt zu Tode kamen. Noch Ende März 1945 trieb die SS 350 Adler-Zwangsarbeiter in einem Todesmarsch durch das Kinzigtal bis nach Hünfeld. Dort wurden die Überlebenden auf Viehwaggons verladen und wieder nach Buchenwald verschleppt.

Der Generaldirektor der Adler- Werke und Wehrwirtschaftsführer, Hagemeier, sowie der Verwaltungsdirektor, Abwehrbeauftragte und Verbindungsmann zur Gestapo, Engelmann, durchliefen nach Kriegsende übrigens problemlos das Entnazifizierungsverfahren als „Mitläufer“.

Ryszard K. aus Warschau, einer der letzten Überlebenden der Hölle Adler-KZ, ist bereit, an die Stätte des Grauens zurückzukehren – falls sich die Stadt Frankfurt endlich dazu durchringen kann, die letzten elf Zeitzeugen einzuladen. Ihn quält der Gedanke daran, „daß die meisten Einwohner dieser schönen Stadt Frankfurt all die Jahre hindurch die Wahrheit nicht kannten, die auf dieser Stadt lastet.“ Klaus-Peter Klingelschmitt