Ein Fake, dieser Bildungsgipfel

Findet das ominöse „bildungspolitische Spitzengespräch“ jemals statt? / Der Kanzler dünkt sich wie einst der Kaiser / Den eigentlichen Bildungsgipfel wollen die Studierenden selber machen  ■ Die taz-Steighilfe auf alle Wipfel

Seit einem Jahr stellt der Kanzler Wegweiser auf: Hier geht's zum Bildungsgipfel. Was er nicht nennt sind Themen, Termine, Teilnehmer. Niemand sagt das, denn keiner ist zuständig. Der Kanzler zuallerletzt. Der Bildungsgipfel – eine Art konzertierte Aktion Bildung? Ein Solidarpakt der Lehrer, Professoren und Kultusbeamten? Ausdruck einer „formierten Gesellschaft“ oder Zusammenstehen in der Bildungskrise?

Helmut Kohl kündigte vor einem Jahr den Bildungsgipfel in einem FAZ–Beitrag als „bildungspolitisches Spitzengespräch" an. Vordergründig geht es dabei um die katastrophale Lage an den Hochschulen. Dort herrscht – neben anderen Mißständen – vor allem ein krasses Mißverhältnis zwischen der Zahl der Lehrenden und derer, die studieren. (Siehe Grafik II) Außerdem wird wahrscheinlich auch die Schulbildung, insbesondere das Abitur Thema sein. Einige wollen die Berufsausbildung und die Frage des Arbeitsmarktes für HochschulabsolventInnen auf der Tagesordnung sehen. Ob das alles jemals zur Sprache kommt, ist allerdings die Frage. Zuletzt nannte Kohl den September diesen Jahres als Termin. Aber der „Gipfel“ wurde bereits mehrfach verschoben.

Unklar ist auch, wer alles teilnehmen wird und wie die Form der Mitsprache sein soll. Sicherlich sind Kanzler und Ministerpräsidenten mit von der Partie. Ob die organisierte Wissenschaft (Hochschulrektorenkonferenz, Wissenschaftsrat etc.), Arbeitgeber, Gewerkschaften und Studenten am Runden oder am Katzentisch sitzen? Ob überhaupt? Zuletzt hieß es: Ja. Vorbereitet wird der Gipfel von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Zwei Staatssekretäre aus den Bildungsministerien in Bonn und Düsseldorf leiten sie. Die AG hat bislang eine Expertenanhörung veranstaltet und arbeitet derzeit an einem Zwischenbericht, den sie streng geheim behandelt. Nach Informationen der taz wollen Länder vom Bund schon vor dem Gipfel eine Zusage zur höheren Finanzbeteilgung an den Bildungsausgaben. Sonst wollen sie gar nicht erst teilnehmen.

Inhaltliche Orientierung über die angestrebten Studienreformen bieten die von staatlicher und von Seiten der Wissenschaftsorganisationen vorgelegten Papiere. Deren kleinste gemeinsame Nenner sind sattsam bekannt: Reform des Studiums an den Universitäten, das gegliedert werden soll in einen berufsqualifizierenden Teil und die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Von Regelstudienzeiten ist die Rede und von einer „Entfrachtung“ der Studiengänge. Außerdem sollen die Fachhochschulen ausgebaut werden. Ein Drittel deutscher Studierender soll künftig von FHs kommen. (Siehe Grafik I)

Interessante Unterschiede gibt es in den Zielen einer Studienreform. Für Bundeskabinett und Kanzler soll die Hochschulreform den „Standort Deutschland“ sichern helfen. Aber: „Bildung war und ist ... nicht nur auf einen ökonomischen Zweck hin ausgerichtet“, sagte Helmut Kohl auf dem Bildungskongreß der CDU im März. Für den Wissenschaftsrat ist auch „das Interesse der jungen Generation an einem Hochschulstudium“ von Bedeutung. Die Hochschulrektoren geben sich klassisch. Dringend benötigtes Wissen und Personal gingen aus den Hochschulen hervor. Beides sei wichtig – für den internationalen Wettbewerb.

Studienreformen, das hat die Vergangenheit gezeigt, sind schwierig umzusetzen. Daher schlägt die staatliche Seite – Kultusminister und Bundesbildungsministerium – Sanktionsmittel vor, um das Studium wieder „studierbar zu machen“. „Strukturell-quantitative Eckdaten“ sollen festgelegt werden, wie die Kultusministerkonferenz (KMK) im besten Technokratendeutsch wünscht. Regelstudienzeiten, Semesterwochenstunden und ziemlich alles, was mit Prüfungen zu tun hat, sollen demnach „durch Anpassung der Länderhochschulgesetze“ staatlich vorgeschrieben werden. Als zuständige Akteure werden dafür die Dekane angesehen, die Sprecher der Fachbereichsräte. „Ihre Stellung gegenüber der Fakultät / dem Fachbereich“ sei aufzuwerten.

Überhaupt scheint die Reformdiskussion staatslastig. Seitdem das Schlagwort aufkam, starren alle auf den „Bildungsgipfel“. Die Regierenden signalisieren damit eine Zuständigkeit, die nicht gegeben ist. Inzwischen wird diese bildungspolitische Meinungsführerschaft angegriffen. Da sind die SPD–Bundestagsabgeordnete Doris Odendahl, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Sie laden immer wieder zu einem Runden Tisch Bildung ein. Diesen Mittwoch (21.4.) tagt er wieder in Bonn.

Den dort zu formulierenden außerstaatlichen Konsens wollen die Studierenden nicht mittragen. Jedenfalls nicht die einzig bundesweit organisierte Freie Konferenz der StudentInnenschaften an Fachhochschulen (FKS). Sie hat mit einer Reihe von Asten einen Arbeitskreis Bildungsgipfel ins Leben gerufen. In verschiedenen Arbeitsgruppen bereiten die Studierenden ihren eigenen Bildungsgipfel vor. Den eigentlichen, wie sie meinen. Er findet von 2.-6. Juni in Bonn statt. (Informationen bei FKS, Bonn, Reuterstr. 44, Tel. 0228/262119) Und hier in Berlin gibt es eine Initiative von ProfessorInnen und StudentInnen namens „Sturm für die Uni", die eine hochschulpolitische Konzeption „von unten" erarbeiten will.

Der staatliche Bildungsgipfel droht indes zum Fake zu werden. Eigentlich kann er nur mißlingen. Die Länder lassen sich auf ein „bildungspolitisches Spitzengespräch“ nur wegen des Geldes ein. Der Bund soll sich ihrer Ansicht nach stärker am Hochschulbau beteiligen und die Finanzierung des Bafög ganz übernehmen. Aber Geld ist keines da. Spätestens seit dem sogenannten Solidarpakt sind die Finanzen absolut festgezurrt. Der Kanzler seinerseits will Einfluß nehmen, wo es ihm nicht zusteht. Er vermisse Kernfächer beim Abitur, vor allem mehr Geschichte und Deutsch müsse sein, sagte er jüngst. Deswegen hat er zu einem „bildungspolitischen Spitzengespräch" eingeladen. Wie 1890, als Wilhelm II. zu einer „Konferenz über das höhere Bildungswesen“ bat. Der Kaiser wünschte sich damals – mehr Deutsch und neuere Geschichte in den Lehrplänen. cif

Siehe auch Seite 6 und Seite 10