Hart oder tödlich

■ Premiere von Hauptmanns Rose Bernd im Ohnsorg-Theater

im Ohnsorg-Theater

Das Theater mimt bloß den Wellenreiter auf einer wenig verbesserungswilligen Publikums- Woge. Die Würde des kulturbeflissenen Citoyen ist antastbar. Der Theatermacher verlängert durch Trendhörigkeit seine und des Publikums kulturelle Misere. Thesen von Regisseur Hans-Joachim Heyse zu seiner Premiere von Gerhart Hauptmanns Rose Bernd, der im Ohnsorg-Hausblatt auf seine Zunft schimpft und seinen Standpunkt durch gewagte Abgrenzungen erklärt: „Die Kunst ist noch nie am Zwang kaputt gegangen, aber sie könnte sterben an zuviel Freiheit.“ (Andre Gide)

Nüchtern skizzierte Heyse in seiner plattdeutschen Inszenierung dann auch den sozialen Standort von Hauptmanns Figuren, deren Schicksal sich bei Nichteinhaltung der gesellschaftlichen Tischsitten ins Fatale wendet: Beate Kiupel übernimmt die Titelrolle der jungen Frau, die von ihrem Liebhaber, dem Gutsbesitzer Flamm, geschwängert wird und sich danach so in Konventionen verstrickt, daß sie schließlich ihr Kind ermordet, mit einer klaren Vorgabe: Das Individuelle am Individuum mißt sich durch die Opfer, die es bringen muß. Wenn einer die Regeln einer Gruppe guter Menschen bricht, verwandelt sich eine solche Gemeinschaft in einen Verband zur internen Schadensbegrenzung.

Der von Jürgen Lederer als Tunichtgut und Gewaltmensch dargestellte Maschinist Streckmann, der

1Rose mit seinem Wissen über ihr Verhältnis zu dem verheirateten Flamm erpresst, setzt die gesellschaftliche Kettenreaktion in Gang. Zwar nicht juristisch erledigt, dafür aber menschlich isoliert und psychisch angeschlagen harren nach Roses Verhaftung wegen des Kindesmordes der ihr zwanghaft anverlobte August Keil (Manfred Bettinger) und Roses Vater (brillant: Fritz Hollenbek) ihrer Zukunft. Doch das Schicksal hält für diese Menschen nur zwei Aussichten bereit: Die einen trifft es hart, die anderen tödlich.

Nach einem Jahrhundert industrieller Revolution (Uraufführung 1903) bringt einer den anderen nicht durch Konkurrenz zu Fall oder durch Ausbeutung ins Grab sondern verkauft, wie Streckmann,

1die eigene Ehre für das Unglück aller anderen. Ohne ein Schamhaar oder Kunstblutorgien zu zeigen, also das zu tun, was für ihn zur oben diagnostizierter Lage der Theater-Kultur geführt hat, inszenierte Heyse diese Geschichte von gutem Willen und dem so leicht hereinbrechenden Verhängnis.

Auch wenn sich das Verhältnis der hart und der tödlich Getroffenen mittlerweile umgekehrt hat: Die Rose Bernds sind in der Überzahl, der kleinere Rest belangt Psychiater, erhält vor Gericht sein Recht oder löst seine Probleme durch die erfolgreiche Teilnahme an Game Shows. Doch der opfernden, weil umstellten Verantwortlichkeit der Roses zollte das Publikum ihren frenetischen Applaus. Kristof Schreuf