1. Mai in Bremen ohne Hermann Rappe

■ IG-Cemie-Boß sagt ab, weil die DGB-Vorsitzende parteilos ist / „Tiefes Mißtrauen“ gegen Parteilose

Wer kein Parteibuch hat, der soll auch kein hohes Amt in der Gewerkschaft haben. Das ist die Auffassung von Hermann Rappe, seit zehn Jahren IG-Chemie-Vorsitzender und Bundestagsabgeordneter der SPD. Ursprünglich sollte er bei der diesjährigen 1.Mai-Kundgebung in Bremen reden, hat aber abgesagt, weil die neue Bremer DGB-Kreisvorsitzende Helga Ziegert weder der SPD noch der CDU angehört. „Ich könnte mir denken, daß zwischen Deiner Einleitung und meiner Mairede Diskrepanzen auftreten könnten“, schloß Rappe in seinem Ablehnungsschreiben.

Rappe war vom Vorgänger Helga Ziegerts angesprochen worden und hatte seine Teilnahme auch zugesagt. Doch schon kurz nach der Wahl Helga Ziegerts griff Rappe zum Stift: „Ich habe über die Vorgespräche vor Deiner Wahl gehört, daß Du selbst nicht Mitglied der SPD bist und wohl eine Mitgliedschaft auch abgelehnt hast“, schrieb Rappe der „Lieben Kollegin Ziegert“. Und weiter: „Ich nehme nicht an, daß Du Mitglied der CDU bist, was ja aus Gründen der Einheitsgewerkschaft normal wäre. Wenn es zutrifft, daß Du nicht Mitglied einer der beiden tragenden Parteien werden willst, dann kalkuliere ich ein, daß wir möglicherweise verschiedene gewerkschaftspolitische Grundhaltungen haben.“ Und daraus schloß der Gewerkschaftsboß, daß er wohl besser nicht als Hauptredner auftreten solle.

Helga Ziegert, einigermaßen konsterniert, versuchte noch einmal in einem Schreiben, den ebenfalls „Lieben Kollegen“ Rappe ins Wanken zu bringen: „Bisher war ich der Meinung, und ich bin es eigentlich noch immer, daß unter GewerkschafterInnen die Parteizugehörigkeit als solche nicht Grund für Differenzen sein kann.“ Doch vergebens. Rappe ließ sich nur noch zu einer lapidaren Antwort in drei Zeilen hinreißen: Er bleibe bei seiner Entscheidung, „weil ich dies für besser halte.“

Das war im Januar. Seitdem scheint der Fall allerdings bei den Gewerkschaften nur wenige Herzen zu bewegen. Helga Ziegert hatte zuerst den Maiausschuß der Gewerkschaften informiert. Der hatte die Rappe- Entscheidung zur Kenntnis genommen. Ohnehin wollten die KundgebungsplanerInnen lieber RednerInnen aus den Betrieben aufs Podium holen. Der Kreisvorstand beschäftigte sich zum ersten mal bei seiner letzten Sitzung Ende März mit dem Fall, will aber erst bei seiner nächsten am kommenden Montag Stellung nehmen. Der Kreisvorstand, so Helga Ziegert gestern zur taz, sei „ziemlich ungehalten“ gewesen.

Doch allzu hohe Wellen hat diese Empörung nicht geschlagen. Und einige hauptberufliche Gewerkschafter teilen die Auffassung Rappes. Heinz Böddener, Bezirks-Geschäftsführer der IG Chemie, nahm seinen Chef ausdrücklich in Schutz: „Nirgendwo zu sein, ist sicherlich nicht Stil der Gewerkschaften“, meinte er zum Thema Parteimitgliedschaft. Er wolle wissen, wo eine Vorsitzende politisch beheimatet sei. „Es nutzt nichts, nur von draußen herumzunölen. Jemand muß Mitglied sein, von mir aus auch bei den Schwarzen.“

Dabei scheint innerhalb der Gewerkschaften die Parteizugehörigkeit eine große Rolle zu spielen. Helga Ziegert: „Ich war erstaunt, wie eingehend ich dazu befragt worden bin.“ Gestern war die Rappe-Entscheidung Thema bei der Vorstandssitzung im Landesbezirk. Dort war Helga Ziegert entgegengehalten worden, daß in sehr vielen Kreisen kein einziger Funktionär kein Mitglied von SPD oder CDU wäre. Helga Ziegert: Es gibt ein tiefes Mißtrauen gegen Kolleginnen, die nicht parteipolitisch verankert sind.“

Auch in der Düsseldorfer DGB-Zentrale war Rappe gestern Thema. Doch der geschäftsführende Bundesvorstand mochte nicht Stellung beziehen. Und Hermann Rappe selbst — ließ über seine Sekretärin mittteilen, er sehe keine Notwendigkeit, dazu noch eine Stellungnahme abzugeben.“ Jochen Grabler