Protest ist Teil der Willensbildung

■ Interview mit dem deutschen IOC-Mitglied Thomas Bach zu den Berlin-Impressionen der IOC-Prüfungskommission

taz: Herr Bach, welchen Eindruck hat bislang Berlin auf die IOC-Prüfungskommission gemacht?

Bach: Meinem Eindruck nach einen sehr positiven, das ist mir in Gesprächen mit den Kommissionsmitgliedern auch bestätigt worden. Die Präsentation Berlins ist insgesamt positiv zu beurteilen.

Haben die Anti-Olympia-Proteste der letzten Tage einen nachhaltigen Eindruck bei der Kommission hinterlassen?

Die Kommission hat die Proteste als Teil einer demokratischen Willensbildung zur Kenntnis genommen. Sie sind international erfahren genug, um zu wissen, daß in einem demokratischen Staatswesen ein Vorhaben von der Größenordnung der Olympischen Spiele nicht mit hunderprozentiger Zustimmung durchgeführt wird.

Sind solche Proteste eine Berliner Besonderheit, oder wurden die Prüfer in den anderen Bewerberländern mit vergleichbaren Vorkommnissen konfrontiert?

Da müßten Sie die Prüfer selbst fragen. Tatsache ist, daß es nirgendwo eine hundertprozentige Zustimmung zu der Bewerbung gibt.

Welchen Stellenwert hat denn die Stimmung in der Stadt überhaupt bei der Bewertung, die die IOC-Kommission über die jeweiligen Bewerber abgibt?

Sie spielt natürlich eine Rolle, weil man auch stimmungsvolle Spiele haben will, die von der Bevölkerung getragen werden. Von daher ist die Stimmungslage in der Bevölkerung schon eine Facette, die zur Meinungsbildung beiträgt.

Gab es bislang erkennbare Schwächen in der Berliner Präsentation?

Das würde ich nicht sagen. Es gibt Nachfragen zu einzelnen Punkten, wie auch bei den anderen Bewerbern. Dazu hat es zufriedenstellende Erklärungen gegeben, und es wird morgen eine abschließende Diskussion mit den Vertretern der Bewerbungs-GmbH geben, um offenstehende Fragen zu klären.

Wird dann auch über das Finanzierungskonzept für die Spiele geredet?

Es wurde bereits heute über die Finanzierung gesprochen, und, soweit ich das beurteilen kann, sind auch hierzu befriedigende Antworten gegeben worden.

Im Gegensatz zu den Regierungen der übrigen Bewerberländer läßt die Bundesregierung eine nachhaltige, das heißt auch finanzielle Unterstützung des Olympiavorhabens vermissen. Kommen da der Prüfungskommission nicht Zweifel an dem Rückhalt, den die Berliner Bewerbung für Olympia im eigenen Land hat?

Das kann ich nicht so ganz nachvollziehen. Die Kommission hat Bundesaußenminister Kinkel getroffen, der die Bewerbung voll unterstützt hat. Sie wird heute abend Bundesinnenminister Seiters treffen. Auch er wird sich eindeutig für die Bewerbung aussprechen. Und die Kommission wird mit dem Bundespräsidenten zusammentreffen, einem ganz engagierten Befürworter. Ich glaube, hier wird eine breite Unterstützung durch die Politik deutlich.

Aber es ist keine Unterstützung, die sich in Mark und Pfennig auszahlt.

Das ist auch nicht notwendig. Das Konzept sieht eine private Finanzierung der Organisationskosten der Spiele vor. Insofern ist für weitergehende Zusagen der Bundesregierung gegenwärtig auch kein Anlaß.

Interview: Dieter Rulff