ICE fegt Kinder vom Bahnsteig hinunter

■ Neues Problem am geplanten Bahnhof Potsdamer Platz: Bei Tempo 120 ist Luftschwall des ICE so stark wie Orkanböe

Berlin. Der superschnelle Intercity Express (ICE) verursacht in Berlin Probleme, die bei den Bahnplanern völlig neue Fragen aufwerfen. Das Prestigeobjekt der Bahn soll nämlich durch den neu zu bauenden Bahnhof Potsdamer Platz mit 120 Kilometern pro Stunde rollen. Bei der mit diesem Tempo anvisierten Durchfahrt der unterirdischen Bahnhofshalle von einem Tunnel zum anderen soll auf den Bahnsteigen eine Windstärke entstehen, die der einer Orkanböe gleicht: Kleine Kinder und leichtgewichtige Erwachsene könnten vom Bahnsteig gefegt werden. Dies erfuhr die taz von dem Architekten Jürgen Fissler, dessen Büro die Planungen für den S-Bahnhof am Potsdamer Platz ausarbeitet.

Die Bahnplaner können diesem „Staubsaugereffekt“ auf zwei Arten entkommen: Sie bauen an den beiden Bahnhofsenden entsprechend überdimensionierte Luftschächte, durch die die plötzliche Veränderung des Luftdrucks ausgeglichen werden kann. Oder das ICE-Gleis kommt – ähnlich wie bei den Hochgeschwindigkeitszügen in Japan – hinter Panzerglas. Mit der durchsichtigen Wand wäre nicht nur der „Staubsaugereffekt“ gelöst, sondern auch die Gefahr gebannt, daß Fahrgäste zu dicht an dem vorbeirasenden Zug stehen.

Für den Fall, daß auf dem ICE- Gleis doch einmal Züge halten sollten, müßten in der Glaswand Türen das Aus- und Einsteigen ermöglichen oder die gesamte Wand hochgezogen werden, schlägt Architekt Fissler vor.

Für die Bundesbahn sei „diese Situation etwas neu“, gestand Jürgen Vellmer, Sprecher der Hauptverwaltung der Bundesbahn in Frankfurt am Main, gegenüber der taz ein. Ingenieurbüros seien mit einer entsprechenden Lösung beauftragt. Obwohl die Techniker noch nicht klären konnten, wie der ICE-Sog in den Griff zu bekommen ist, wollte der Bahn-Sprecher aber bereits wissen, daß es „grundsätzlich keine Probleme“ gebe. Bei einem ähnlichen Tunnelbahnhof in Bonn habe die Bahn das Problem bereits gelöst – allerdings nur auf dem Papier, denn der Bahnhof wurde nie gebaut.

Bahnhofsplaner Fissler favorisiert dagegen schon heute eine Lösung mit schützender Glaswand – nicht nur aus sicherheitstechnischen, sondern auch aus stadtplanerischen Gründen. Denn ein entsprechender Schacht, durch den ansonsten der ICE-Wind blasen würde, müßte nach entsprechenden Berechnungen einen Querschnitt von 500 Quadratmetern haben.

Nach der bisherigen Idee, die nördlichen und südlichen Zugänge zu dem Regionalbahnhof für den Luftdruckausgleich zu nutzen, müßten mitten auf dem Potsdamer Platz massige Bauwerke entstehen, die die bisher vorgesehene Gestaltung erheblich stören würden, argumentiert der Architekt. In den oberirdischen Zugängen zu dem Bahnhof gebe es darüber hinaus den „Marilyn-Monroe-Effekt“ – Röcke würden von einer leichten Brise angehoben, sobald der ICE unten durch den Bahnhof schießt. Dirk Wildt