Piratensender

■ Der Lauf der Dinge und seine schrille Logik: Aki Takase trifft Fred Frith. Duo-Premiere in Kieler Sophienhof

Über ein absurdes Pfeilsystem im shopping mall Sophienhof flächendeckend ausgewiesen, ist das „Kulturviertel“ der Stadt Kiel nicht leicht zu finden, und wenn gefunden, ein Schock: ein gebogener Schlauch über mehrere Etagen, der Veranstaltungsraum zugestellt von billigen weißen Klappstühlchen, deren Mickrigkeit durch fette Betonsäulen betont wird. Durch die bogenartige Anordnung der Säulen ist es unmöglich, von hinten links, wo der Treppenzugang ist und bis zum Konzertbeginn Leute hereinströmen, selbst stehend irgend etwas zu sehen. Die Bühne, klein und von einer abfallenden Decke zusätzlich gedrückt, ist so ein Talkshow-Ensemble, im Rücken der Künstler ein Kunststoffparavent mit expressionistischen Intarsien; der kleine Chic des Atombunkers fürs kulturhungrige Volk. Und für die Künstler ein Backstagezimmer von vielleicht fünf Quadratmetern, ein fensterloser weißer Kasten ohne direkten Zugang zu den Toiletten. Wer hier spielt, muß noch Übleres gesehen haben oder ein gutes Honorar mitnehmen.

Aki Takase, die in Berlin lebende Pianistin japanischer Herkunft, trifft zum ersten Mal auf Fred Frith, die westliche Integrationsfigur jener Musik across the border, für die sein Name steht. Gleich im ersten Stück zeigt sich, daß die Begegnung nicht risikolos ist: während Frith an der Gitarre innerhalb von Minuten ein enormes Klangspektrum entfaltet: etwas von Glockenspiel, Trommeln, Heulen und Nachhall, bleibt Takase zunächst gefangen im sportlich anmutenden Umgang mit dem präparierten Klavier.

Im zweiten Stück, das mit einer drahtig scheppernden Boogie- Woogie-Parodie einsetzt, ist die Balance plötzlich hergestellt. Die Reste einer dialogischen Musik („jam session“) werden metallisch zerkrümelt und vor den Ohren der Zuschauer zu kleinen Tinguelys zusammengeschweißt. Es wirkt keineswegs überspannt, wenn Frith, die tiefe E-Saite über den Wirbel geschwind manipulierend, einem Lauf von Takases rechter Hand hinterherjagt.

Genau daran ist zu sehen, wie ungleich die Instrumente sind und damit die Voraussetzungen ihrer Spieler. Das Klavier, der große schwarze Sarg musikalischer Norm, muß schwer traktiert werden, bis im Spiel etwas Abgelegenes (eine Art „Negativ“ abendländischer Musik) hörbar wird. Es gelingt Aki Takase, über die Länge des Konzerts deutlich zu machen, daß die Attacke auf die Konvention kein Selbstzweck ist. Es ist begeisternd und erschreckend zugleich, wenn die Pianistin im kleinen Schwarzen, das Haar über dem Kopf zusammengesteckt, mit dem gesamten linken Unterarm im Baßbereich der Tastatur herumspringt, während die rechte Hand Reminiszensen an die guten alten Tage des Jazz feiert.

Bei Frith dagegen ist das Artistische seines Spiels mit Mühe überhaupt wahrzunehmen. Die Gitarre meist auf den Knien plaziert (wie eine Pedal steel guitar), befragt er sie nach Klängen, von denen sie eigentlich nicht wissen kann. Die Saiten sind gar nicht mehr die Materialisation einer (zumindest potentiell) geschriebenen Musik, sondern ein Medium in der Nähe des Tonabnehmers. Wenn Frith zum Beispiel die Saiten durch Auflegen einer Bürste mittig teilt, dringt das Spiel über die schwere Box im Rücken des Musikers zum Publikum durch wie ein kaum verständlicher Piratensender, zu dem Frith und nur er den unsichtbaren Draht besitzt. Es ist dann immer schwerer zu unterscheiden, was man wirklich „hört“ (was gesendet wird) und was man sich hilfsweise dazudenkt.

Es klingt beileibe nicht alles gut, was da von der Bühne kommt; gezielte Störungen dominierender Strukturen, technische Selbstläufer und tatsächliche Mißverständnisse im Zusammenspiel – dem, ohne jegliche Probe, ausschließlich der Soundcheck vorausgegangen ist – sind schwer zu trennen. Der spaßige Anteil dieser Musik wird vom Publikum sofort verstanden, was den abstrakteren Teil der Duo-Leistung etwas zu stark in den Hintergrund treten läßt. Einige wenige Männer im Kieler Publikum reagieren auf die implizite Forderung nach Konzentration mit lautem Übermut, unzeitigem Applaus und Gejohle, was die Musikanten zwingt, eher in der Reserve zu bleiben.

Vielleicht ist es kein Zufall, daß das Gespräch mit Freunden nach dem Konzert auf das berühmte „Der Lauf der Dinge“-Video von Fischli/Weiss kommt: auch das Duo Takase/Frith erzählt eine Geschichte, bei der nicht viel anderes zurückbleibt als die Ekstasen des Augenblicks, die sich gegen alle Wahrscheinlichkeiten miteinander verketten. Ulf Erdmann Ziegler