Soweto zeigt seine Würde im Kampf

Die Beerdigung des ermordeten ANC-Führers Chris Hani offenbart die Enttäuschung der schwarzen Township-Jugend Südafrikas / Straßenschlachten und flammende Reden  ■ Aus Soweto Willi Germund

Ein paar junge Leute schleichen sich mit Molotowcocktails durch das hohe Steppengras. Sie wollen eine verrostete Baracke neben dem Stadion von Soweto in Brand stecken. Plötzlich knallen Schüsse. Blut spritzt, mit zerfetztem Gesicht bleibt einer der Männer leblos liegen. Hunderte von Jugendlichen verbarrikadieren die Zufahrtsstraßen; sie zünden das Gras an, um die Tränengasschwaden der Polizei zu vertreiben. Ein paar alte Häuser gehen in Flammen auf. Die Umgebung des Stadions gleicht einem Schlachtfeld. Im Stadion ist Chris Hani aufgebahrt, das Gesicht von den Schüssen entstellt, die ihn am Ostersamstag im Kopf trafen; auf dem Sarg liegt die grüne Uniformmütze des ehemaligen Kommandeurs von „Umkhonto we Sizwe“ (MK), dem bewaffneten Arm der Anti-Apartheid-Bewegung „Afrikanischer Nationalkongreß“ (ANC). „Die Regierung will uns aufs Schlachtfeld zerren,“ ruft Joe Slovo, der Präsident von Südafrikas Kommunistischer Partei den 80.000 Menschen im prall gefüllten Stadion zu, „aber laßt uns das Schlachtfeld an den Wahlurnen lassen – das Schlachtfeld unserer Wahl.“

Südafrika, ein Land, in dem während der letzten Jahrzehnte Begräbnisse zum Alltag des Widerstands gerieten, beging gestern die „größte Beerdigung“ seiner Geschichte. „Mit einem Staatsbegräbnis wollen wir uns von Chris Hani verabschieden,“ erklärte ANC-Generalsekretär Cyril Ramaphosa. Nelson Mandela nimmt im Stadion kein Blatt vor den Mund: „Diese Regierung hat mit vielen Äußerungen Chris Hani kriminalisiert. Kriminalisieren heißt, ihn zur Jagd freizugeben. Die Regierung trägt Mitverantwortung an Hanis Tod.“

Aber schon während der Beerdigung steht fest, daß es nicht die letzte Trauerfeier für ein Opfer der Gewalt in Südafrika sein wird. Drei ANC-Anhänger wurden auf dem Weg zur Beerdigung in dem Township Vosloruus erschossen, als sie an einem von Anhängern der konservativen Zulu-Organisation Inkatha bewohnten Wohnheim vorbeifuhren. 19 Menschen starben in Sebokeng, als vier unbekannte Täter stundenlang Amok liefen. Die neuen Todesnachrichten entzündeten am frühen Montagmorgen den Funken, der in Soweto zu den stundenlangen Scharmützeln mit der Polizei führte.

„Mandela spricht wie ein Lehrer, Hani sprach wie wir“

Mit ihren „Squashi“ – selbstgebastelten Pistolen – schossen Jugendliche auf die Polizei. Die Beamten erwiderten das Feuer. „Wir sollten die Beerdigung mit der Würde absolvieren, die Chris Hani verdient hat,“ appellierte ANC-Generalsekretär Ramaphosa über Fernsehen noch am Sonntag. Die 80.000 Trauernden im Stadion und die Tausenden, die sofort zum 47 Kilometer entfernten Friedhof von Boksburg eilten, hielten sich daran. Doch für viele der „Jungen Löwen“ – wie die jugendlichen ANC-Anhänger im Townshipjargon heißen – bedeutet Würde Kampf mit der Polizei. „Wenn Hani beerdigt ist, greifen wir die Polizei an“, drohte schon am Morgen der 15jährige Paul neben einer brennenden Barrikade.

„Mandela spricht wie ein Lehrer zu uns“, mosert Jeremiah, ein 21jähriger Mann aus Soweto, „Hani aber sprach wie wir.“ Der 1942 im heutigen Schwarzenreservat Transkei geborene Generalsekretär der Kommunistischen Partei genoß selbst bei den ANC- Kämpfern Glaubwürdigkeit, die einst im angolanischen Exil wegen schlechter Behandlung gegen ihre Funktionäre meuterten. „Hani war der einzige der ANC-Oberen, die auch mit uns zusammen kämpften“, erinnert sich Joe, ein ehemaliger Guerillero, der Angolas Regierung im Kampf gegen die Rebellenbewegung Unita aushalf, „die anderen dachten nur an ihre eigene Sicherheit“. Die Sorglosigkeit um die eigene Sicherheit kostete Hani das Leben.

Auch während der Beerdigung von Hani lungerten die Rassisten der „Afrikanischen Widerstandsbewegung“ (AWB) in Sichtweite herum. Zu Hunderten waren sie mit Pistolen und Gewehren in Ellspark und Groenewarde eingezogen, zwei von Weißen besiedelten Stadtvierteln am Friedhof. „Haltet die Schußwaffen außer Sichtweite“, befahlen ihnen Polizisten. „Ich habe sie eingeladen, weil einer mich doch beschützen muß“, behauptet ein weißer Hausbesitzer im Trainingsanzug über seine Gartenmauer aus grauem Beton. „Ich bin das einzige Kiepie hier“, verkündet der Mann, der seinen Namen nicht nennen will – das einzige „Huhn“ im Viertel, daß nicht Reißaus genommen hat. Seine Frau und die zwei Kinder hat er zu den Eltern geschickt, die Nachbarn haben Türen und Fenster verrammelt und sind für den Tag weggefahren.

Give Peace a Chance, den Schlager von John Lennon ließ eine Rundfunkstation gestern morgen immer wieder ablaufen. Doch die Anrufe, die den Sender erreichten, zeigten, wie groß die Kluft zwischen Weiß und Schwarz in Südafrika immer noch und wieder einmal ist. „Das war doch nur ein Kommunist“, zischte eine Frau am Telefon. „Wir verhandeln nicht mit der Regierung von Präsident Frederik W. De Klerk, weil wir ihn lieben“, hatte Hani vor seinem Tod bei einer Veranstaltung gesagt, „in Wirklichkeit können wir ihn nicht ausstehen. Aber mit Verhandlungen werden wir ihn schneller los“.

Als der in die schwarz-gold- grüne ANC-Fahne gehüllte Sarg vor Zehntausenden von Anhängern ins Grab sinkt, bleibt eine Erinnerung zurück: Im Oktober 1990, als Nelson Mandela zum ersten Mal nach seiner Freilassung aus 27 Jahren politischer Haft sein Heimatdorf in der Transkei besucht und vor Häuptlingen aus verschiedenen Dörfern sprach, hockte sich Chris Hani plötzlich auf eine Holzbank und sinnierte: „Es ist so schade, daß unsere kulturellen Werte so schnell verloren gehen, wenn wir in Städte wie Johannesburg ziehen.“