Umweltschutz würde sich lohnen

Schadensbilanz von Lutz Wicke, Ex-Chef des Umweltbundesamtes: 6,8 Prozent des Sozialprodukts 1992 wurden von Umweltkosten aufgefressen – im Osten sogar fast 30 Prozent  ■ Von Thomas Worm

Berlin (taz) – Die deutsche Wirtschaft setzte ihren umweltzerstörenden Schrumpfkurs im Jahr 1992 fort. Auf 203 Milliarden Mark beziffert der parlamentarische Staatssekretär beim Berliner Umweltsenator, Lutz Wicke (CDU), die in Geld bewerteten Umweltschäden für 1992. Das entspricht 6,8 Prozent des bundesdeutschen Bruttosozialprodukts in Höhe von knapp drei Billionen Mark. Mit anderen Worten: diese 6,8 Prozent müßten vom Nullwachstum 92 abgezogen werden, womit die bundesdeutsche Gesamtwirtschaft kräftig in die roten Zahlen gerutscht ist. Bislang jedoch werden die ökologischen Kosten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht berücksichtigt, so daß die offiziellen Zahlen der Bundesregierung ein geschöntes Bild vom Wirtschaftswachstum zeichnen. „Ich habe vorsichtig geschätzt, um kein Schreckensszenario an die Wand zu malen“, sagt Wicke, der früher wissenschaftlicher Direktor des Umweltbundesamtes (UBA) war. Für den Osten Deutschlands ergibt sich dennoch eine „erschreckende ökologische Schadensbilanz“: die Umweltschäden in den neuen Ländern setzt Wicke in der neu überarbeiteten Auflage seines Buches „Umweltökonomie“ auf rund 70 Milliarden Mark an. Das bedeutet, daß 29 Prozent des ostdeutschen Sozialprodukts durch die Folgekosten insbesondere der Luft-, Wasser- und Bodenverschmutzung aufgefressen werden. „Ostdeutschland liegt da eher im Trend mit den Ostblockstaaten“, sagt Wicke.

Trotzdem sieht der Professor für Umweltökonomie Fortschritte in der Umweltpolitik. Insbesondere durch die Großfeuerungsanlagenverordnung habe sich im Westen Deutschlands die Luftqualität erheblich verbessert, wodurch auch die Umweltschäden gemessen am Sozialprodukt gegenüber 1984 relativ gesunken seien. Filteranlagen zur Entschwefelung und Entstickung sind in den 80er Jahren bundesweit installiert worden. „Jede Million Mark, die in die Luftreinhaltung investiert wurde“, rechnet Wicke vor, „erbrachte in diesem Fall einen speziellen Nutzen von 15 Millionen Mark.“

Wie kommt der Ex-UBA-Chef zu seinen Zahlen, die er für die „Untergrenze“ der monetären Öko-Schäden hält? Ermittelt wird der Erholungswert eines Forstgebietes zum Beispiel durch die sogenannte Zahlungsbereitschaft. In Umfragen wird festgestellt, was die Leute für einen gesunden Wald in ihrer Umgebung zahlen würden. Oder für ein Naturschutzgebiet. Dabei hat Wicke festgestellt, daß die Befragten für den Naturschutz mehr aus eigener Tasche zahlen würden, als der Staat dafür ausgibt.

Wenn nun aber einer Tierart das Ende droht, versagt das Prinzip der Zahlungsbereitschaft: „Wir berechnen nicht in D-Mark, wenn eine Art auf der roten Liste ausstirbt.“ Einer der Gründe dafür, daß andere Schätzungen mit anderen Methoden die ökologischen Kosten des industriellen Wachstums in Deutschland drei- oder viermal so hoch ansetzen wie Lutz Wicke. Wickes Fazit: Natur- und Umweltschutz müssen künftig „höheren Stellenwert“ genießen; das zahlt sich aus. „Optimistisch“ bleibt Wicke in Hinblick auf die „exorbitant“ hohen Kosten globaler Umweltschäden (Treibhaus, Regenwaldvernichtung). Mit einem deutschen 17-Milliarden- Mark-Beitrag zu einem internationalen Notprogramm glaubt er sie verhindern zu können.