Regierung lanciert Ghali-Brief

Parteienstreit über deutschen Somalia-Einsatz geht vor Kabinettsentscheid weiter / Engholm rückt vorsichtig von Verfassungsklage ab  ■ Von Andreas Zumach

Genf/Bonn (taz) – Nach dem Ende der Bonner Osterpause ist der Streit innerhalb der Parteien um eine Beteiligung deutscher Soldaten an der künftigen UNO-Operation in Somalia (UNOSOM II) gestern voll entbrannt. Dabei ist nach wie vor nicht klar, für genau welche Aufgaben UNO-Generalsekretär Butros Ghali deutsche Unterstützung angefordert hat und ob tatsächlich – wie von der Bundesregierung behauptet – diese Aufgaben nur von Bundeswehrsoldaten und nicht von zivilen Organisationen erfüllt werden können.

Heute will sich eine Koalitionsrunde mit der Angelegenheit befassen. Am Mittwoch soll dann das Bundeskabinett die endgültige Entscheidung treffen. Für den Nachmittag ist eine Regierungserklärung zu den Themen Somalia und Awacs angesetzt, mit anschließender Bundestagsdebatte.

Die Bundesregierung lancierte gestern den Teil des Ghali-Briefes vom 12. April an die Öffentlichkeit, der ihre Darstellung von der Notwendigkeit einer Entsendung deutscher Soldaten zu bestätigen scheint. In dem Schreiben ersucht der UNO-Generalsekretär die Bundesregierung, „eine Anzahl Militärpersonal zum Dienst mit UNOSOM II zur Verfügung zu stellen“. Interessanterweise erging die Aufforderung an Bonn laut Ghali nicht lediglich auf Basis der Resolution 814, in der der UNO- Sicherheitsrat am 26. März das Mandat und die Aufgaben der UNOSOM-II-Truppen beschloß, sondern erst nachdem der Rat einer Teilnahme „deutschen Militärpersonals“ ausdrücklich „zugestimmt“ hatte. Die deutschen Soldaten sollen laut UNO-Generalsekretär Ghali bei der „Errichtung, Aufrechterhaltung und dem Schutz eines Verteilungsnetzes für Hilfs- und Nachschublinien helfen“ und „in sicherer Umgebung stationiert“ werden. Die Existenz „sicherer“ oder „befriedeter“ Zonen in Somalia wird von journalistischen BeobachterInnen vor Ort wie von VertreterInnen dort tätiger Hilfsorganisationen durchgehend bestritten. Auch in Ghalis Bericht zur Lage in Somalia vom 3. März, der dem Sicherheitsrat als Basis für die Resolution 814 diente, findet sich keine Erwähnung „sicherer“ oder „befriedeter“ Gebiete.

Unter Verschluß hält die Bundesregierung bislang die Anlage zum Ghali-Brief, in der der Generalsekretär spezifische Wünsche nach der Zusammensetzung des deutschen Somalia-Kontingents äußert. Nach Informationen der dpa, die über dieses Dokument nach eigenen Angaben ebenfalls nicht verfügt, soll Ghali um die Entsendung von 1.620 Personen gebeten haben – vor allem Pioniere, Straßenbautechniker und Wasserbauexperten. Vor allem diese beiden letzten ließen sich in ausreichender Zahl auch beim Technischen Hilfswerk oder anderen zivilen Organisationen finden, die nach Einschätzung der in Somalia vertretenen deutschen Hilfsorganisationen die entsprechenden Aufgaben besser und preiswerter als Bundeswehrsoldaten erledigen könnten.

Bis zur Veröffentlichung der Anlage zum Ghali-Brief bleibt also unklar, ob Ghali auch um die Entsendung bewaffneter deutscher Soldaten gebeten hat. Die Hardthöhe hält dies für unerläßlich – um den „Selbstschutz“ der mit humanitären Aufgaben betrauten Bundeswehrangehörigen zu gewährleisten. Sollte Ghali tatsächlich auch bewaffnete Soldaten zu Selbstschutzzwecken angefordert haben, könnte deren Zahl möglicherweise unter den bisherigen Planungen des Bundesverteidigungsministeriums liegen. Bis zum Sonntag war auf der Hardthöhe vorgesehen, 150 Gebirgsjäger der Luftlandebrigade in Calw nach Somalia zu entsenden.

Die FDP will der Beteiligung deutscher Soldaten an der Somalia-Operation zustimmen, wenn die heutige Prüfung in der Koalitionsrunde ergebe, daß es sich um „humanitäre Hilfe“ auf „begrenztem Gebiet“ und „ohne Zwangsmaßnahmen“ handele. Das erklärte der Parteivorsitzende Graf Lambsdorff gestern nach einer Präsidiumssitzung der FDP. Auch „notwendige Selbstschutzmaßnahmen“ wolle die FDP mittragen. Deren Jugendorganisation Julis verlangte hingegen, daß vor einem Somalia-Beschluß die Verfassung verändert werden müsse.

Diese Forderung erhob gestern auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karsen Voigt. Er kündigte zugleich eine Verfassungsklage seiner Partei gegen einen etwaigen Somalia- Beschluß des Bundeskabinetts an. Mit den Worten „die Weltgeschichte ist kein Amtsgericht“ verwarf hingegen Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder die Idee eines erneuten Gangs nach Karlsruhe. Auch Parteichef Björn Engholm zeigte sich einer Präsidiumssitzung seiner Partei eher abgeneigt. Er sei dafür, „das Problem im Parlament zu lösen“. Die SPD sei „in der Frage deutscher Einsätze außerhalb des Nato-Gebietes bis zu gewissen Grenzen beweglich“.

Entwicklungshilfe

Bonn (AFP) – Die deutsche Entwicklungshilfe für Somalia soll nach zweieinhalbjähriger Unterbrechung in Kürze wieder anlaufen. Dies kündigte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit an. Zunächst werde im relativ stabilen Nordosten des Bürgerkriegslandes auf kommunaler Ebene die technische Zusammenarbeit wieder beginnen. In der Hauptstadt Mogadischu soll im Mai das von Deutschland gebaute Berufsbildungszentrum seine Arbeit wiederaufnehmen. Im Rahmen des UN-Hilfsprogramms fliegen heute 37 Experten des Technischen Hilfswerks (THW) nach Somalia.