Endstation Schwindsucht

■ Das Schauspielhaus spielt nicht mehr, und wenn, bleiben die Leute weg / Jetzt ist auch noch eine Premiere geplatzt

Aus ist's und Sense mit der ganzen „Endstation Sehnsucht“. Soeben hat das Bremer Schauspielhaus die Premiere, welche geplant war für Mitte Mai, mit Bedauern storniert. Der Grund: Manuela Alphons, die Darstellerin der Blanche, ist erkrankt. Soviel zum Offiziösen.

In dunkleren Winkeln des Theaters hört man dagegen von ganz andren Geschichten munkeln: Sie handeln von der Regisseurin Inge Andersen und ihrer Weise, mit Mensch und Stückmaterial umzugehen, wenn nicht umzuspringen. Schon ihre erste Bremer Inszenierung, die „Stella“, hatte Inge Andersen unbeugsam vermurkst und und unfehlbar in den Graben gesetzt. Vergleichbare Bruchpiloten sind bei der Gelegenheit den Führerschein los, Andersen aber bekam einen neuen Wagen, und gleich den Streetcar named Desire, die „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams. Und jetzt ist also der Hauptdarstellerin gar nicht mehr gut.

Allerdings sind bis zur Premiere noch vier Wochen Zeit, was dicke hinlangt, noch Ersatz zu beschaffen, im Falle man will es. Das Bremer Theater hat anderes vor: Zur Beschwichtigung der Zuschauermassen möchte der Intendant Heyme jetzt ein älteres Werk von Inge Andersen auf den Spielplan schieben: das Knallstück „Spiel's noch mal, Sam“, mit dem sich die Regisseurin schon seinerzeit in Essen Beulen geholt hatte.

Nicht einmal Verwaltungsdirektor Rempe will auf den Erfolg des Ersatzstückes schwören müssen: "Das hängt ganz davon ab", sagt er, "ob das Bremer Publikum ständig alte Aufgußbeutel haben will." In jedem Fall aber wird der Starttermin dann nicht eingehalten werden können: bis zum 14. Mai ist das Stück nimmermehr aufzuwärmen.

Die Frage ist, was das Schauspielhaus dann überhaupt noch so treiben soll all die langen Abende: Es hat nämlich eh schon kaum mehr was zum Spielen. Es hat, außer dem ermatteten „Othello“, im Grunde nur noch die „Stella“, allwo jetzt, wenn sie stattfindet, die Abonnenten ihr Abo zu Ende absitzen, weil es anderes nicht gibt; und sonst hat das Schauspielhaus nur noch seine Schließtage.

Schon für die Schlußproben des Supersparpreisstückes „Stella“ war das Haus zwei Wochen lang dicht gewesen; und auch vor der „Endstation Sehnsucht“ hatte man sich die ganze erste Maihälfte schon so gut wie spielfrei genommen, für eine Premiere also, die nun gar nicht mehr stattfindet.

Grund zur Freude hätten allenfalls die Techniker, wenn ihnen nicht schon direkt langweilig wär. Noch vor einem Jahr hatten sie gebarmt und geklagt über enorme Überstundenberge — und jetzt, nach einem einzigen Jahr unter Heyme, sind die Überstunden allesamt abgebummelt, und die Abteilung fängt langsam an, Nägel zu kauen. Schon hört man von zermürbten Bühnenhandwerkern, die im Haus herumlaufen und gelegentlich einen Mitarbeiter am Ärmel zupfen: ob sie ihm nicht das Büro streichen dürften.

Unterdessen sitzt der Chef in Recklinghausen und bereitet seine „Odyssee“ für die Ruhrfestspiele vor. In Bremen treten jetzt vor allem Heymes Anwälte auf. Ihr ganzes Trachten: für den scheidenden Intendanten, der freilich von sich aus gekündigt hatte, auch noch eine Abfindung zu ertrotzen, und zwar in einer Höhe, von der bislang nur zu erfahren war, daß sie immens sei.

"Der will", sagt ein Theatermensch, "daß man ihm auch noch Zucker in den Arsch bläst." Wie auch immer: Heute abend sitzt über all dem Jammer der Aufsichtsrat der Theater- GmbH und faßt sodann Beschlüsse. Manfred Dworschak