Sanssouci
: Vorschlag

■ Fühmann vom Band im Marstall der Akademie

Da ist wieder so ein Stück, mit dessen Hilfe sich dieses merkwürdige Land DDR begreifen läßt: Franz Fühmanns Trakl-Essay. „Mein Text ist ganz Trakl für die DDR“, schrieb der Dichter im Oktober 1979 an den Chef des Leipziger Reclam-Verlages. Fühmann, einst selbst Kulturfunktionär, war den Kulturfunktionären der DDR zu dieser Zeit schon längst suspekt, sein Essay gleichfalls: „Vor Feuerschlünden“ war „ganz für die DDR“, weil er der trügerischen Ruhe im Land entgegenstand und weil Fühmann hier anhand seiner Biographie und seiner Erfahrung mit Trakls Gedichten auch die Geschichte der DDR beschrieb – und zwar nicht so, wie sie in den Schulen gelehrt wurde.

Ein IM „Hans“ bekam den Auftrag „zur Verhinderung der Veröffentlichung eines in seinen politischen Teilen negativen Essays“. 1981 erschien dann eine Trakl-Auswahl bei Reclam-Leipzig samt Fühmanns Text, aber der Essay war nur halb, verstümmelt, abgedruckt. Obwohl Fühmann zunächst versprechen mußte, das ungekürzte Manuskript nicht aus der Hand zu geben, konnte die (fast) vollständige Fassung ein Jahr später im Rostocker Hinstorff-Verlag und zeitgleich in Wiesbaden erscheinen.

Da war in einem Buch aus der DDR zu lesen, wie deutsche Kriegsgefangene in der sowjetischen Antifa-Schule im Schnellverfahren von Nationalsozialisten zu Kommunisten umgeformt wurden, zu „neuen Menschen“. Fühmann berichtet, und währenddessen geht einem auf, daß auch diese vermeintliche (Sturz- )Geburt Unrecht ist. „Ein drittes gibt es nicht“, predigte der Umerzieher im Lager und stellte dem „Faschismus als reaktionärster Form des Imperialismus“ den Kommunismus als leuchtende Zukunft gegenüber. Wer daran zweifelte, hatte „Reste des Alten“ in sich, so die Doktrin. Fühmann schrieb das auf – als einen Teil der Wurzeln des „antifaschistischen Arbeiter-und-Bauernstaates“. Er schrieb auch, daß dann doch Zeit war für einen Weg aus dem eindeutigen Zweierlei: „Ich nahm es ernst“, ist der immer wiederkehrende Satz in Fühmanns Essay, der letztlich diesen Ausweg beschreibt.

Georg Trakl war in der DDR verpönt; in die Reihe dekadenter Künstler gestellt, die ein „negatives Bild vom Leben“ zeichnen und als unbrauchbar galten für die leuchtende Zukunft. „Ich sah ihn in allem als Opfer an“, formuliert Fühmann seine Auffassung von Trakl noch zu Beginn der sechziger Jahre. „Damals war mir die Erkenntnis noch fern, die mir erst über E.T.A. Hoffmann aufging: Künstler ist, wer nicht anders kann – und dem dann auch nicht mehr zu helfen ist.“ Schmerzhaft, dieser einsame Weg – schmerzhaft wie Fühmanns eigener vom geformten, verbogenen „Opfer“ der Ideologien, aus der Not der Verblendung in die Selbständigkeit. Friederike Freier

Franz Fühmann liest: Eine Tonband-Aufnahme dreier unzensierter Schlüsselpassagen aus dem Trakl-Essay. 19 Uhr, Marstall der Akademie der Künste am Marx-Engels-Platz. (Bis zum 25.4. ist dort Barbara Heinzes Fühmann-Ausstellung zu sehen.)