Eine späte Rache

■ Schmücker-Nachschlag: Seit dreißig Monaten ermittelt ehemaliger P-Staatsanwalt gegen Ex-Innensenator Pätzold

Berlin. Die Mühlen der Justiz mahlen bekanntlich langsam, doch das gründliche Interesse, das sie am ehemaligen Innensenator Erich Pätzold zeigt, ist selbst für ihre Verhältnisse mehr als ungewöhnlich. Seit nunmehr dreißig Monaten ermittelt der Oberstaatsanwalt Priesdorf gegen den SPD- Politiker wegen angeblicher Falschaussage vor dem Schmücker-Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses. Pätzold hatte dort bekundet, im Spätsommer 1988 von Zahlungen des Landesamtes für Verfassungsschutz an den ehemaligen V-Mann Volker von Weingraber erfahren zu haben. Demgegenüber hatten vor dem Ausschuß der ehemalige Staatssekretär in der Innenverwaltung, Wolfgang Müllenbrock, und dessen Nachfolger Eike Lancelle behauptet, den damaligen SPD- Oppositionspolitiker bereits früher über die umstrittene Geldtransaktion unterrichtet zu haben. Müllenbrock habe damit, so Pätzold, eine „offenkundig und nachweisbar falsche Aussage“ gemacht. Die CDU-Fraktion erstattete im Oktober 1990, es war Wahlkampfzeit, Anzeige gegen den Innensenator, Priesdorf leitete daraufhin wenige Wochen später ein förmliches Ermittlungsverfahren ein – obwohl er, wie Pätzold nun moniert, „eigentlich nicht zuständig“ war.

Das Motiv für den gezielten Ermittlungseifer des Staatsanwaltes offenbarte sich Pätzold, als er in alten Akten blätterte und dort auf dessen Namen stieß. In einer Unterlage des Verfassungsschutzes wird Priesdorf als einer der Staatsanwälte benannt, die 1978 im zweiten Durchgang des Schmückerprozesses an der Absprache zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft beteiligt waren, bestimmte VS- Akten nicht in das Verfahren einzubringen. Dieses Vorgehen war, nachdem es 1990 öffentlich wurde, einer der Gründe, die zur Einstellung des Schmücker-Verfahrens führten. Die Richter hatten darin einen Rechtsbruch erkannt.

Pätzold vermutet deshalb, daß hinter dem gegen ihn veranstalteten „absurden staatsanwaltschaftlichen Theater“ der Wille des Oberstaatsanwaltes stecke, sich dafür zu „revanchieren, daß erstmals 1990 ein Innensenator im Fall Schmücker pflichtgemäß vor Gericht und Untersuchungsausschuß das rechtswidrige, bis dahin immer bestrittene und vertuschte Zusammenspiel zwischen Justiz und Verfassungsschutz offengelegt hat, und dabei auch die persönliche Verstrickung des Oberstaatsanwaltes und anderer Staatsanwälte“. Pätzold verlangt deshalb seit Monaten Priesdorfs Ablösung von dem Verfahren.

Dieses Begehren wurde von den Generalstaatsanwälten beim Landgericht und beim Kammergericht abgelehnt. Mittlerweile ist, in dritter Instanz, die Justizverwaltung mit dem Ablöseantrag befaßt, ein, wie Justizsprecher Bruno Rautenberg eingesteht, „sehr ungewöhnlicher“ Vorgang. Die Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) wollte sich gestern nicht zu den langanhaltenden Ermittlungen gegen ihren Parteifreund äußern. Ein Ende der amtsinternen Prüfung ist nicht absehbar. Mittlerweile fragt sich Pätzold, warum nicht gegen Priesdorf ermittelt wird, denn der Rechtsbruch von 1978 ist noch nicht verjährt. Eigentlich sei deshalb der Generalstaatsanwalt verpflichtet, zu ermitteln. Dieter Rulff