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Eine/r wird gewinnen Von Andrea Böhm

Woody Allen soll einmal behauptet haben, der einzig nennenswerte Beitrag Kaliforniens zur US-Kultur sei die Straßenverkehrsregelung, wonach man auch bei Rot rechts abbiegen darf. Nun haben Zitate von Woody Allen dieser Tage an kultureller Bedeutsamkeit verloren, seit er sich mit Ex-Partnerin Mia Farrow in eine miese Schlammschlacht um das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder begeben hat.

Jedenfalls ist klar, daß der Mann – außer im Film – nie in Los Angeles Auto gefahren ist. Bei Rot rechts abbiegen zu dürfen, entspricht völlig der amerikanischen Mentalität, staatliche Eingriffe im Alltag so gering wie möglich zu halten, und sorgt zudem dafür, daß man auf dem Weg ins Lieblingsrestaurant in Hollywood nur 45, nicht 60 Minuten im Auto sitzt. Diese zeitlichen Dimensionen erklären schon, warum in Los Angeles niemand etwas mit dem Wort „Nahverkehrssystem“ anfangen kann. Außer der eigenen Autogarage, die in der Regel zu Fuß erreicht werden kann, ist einem in dieser Stadt nichts nah. Höchstens noch der Mittelstreifen, der in manchen Stadtteilen grün angestrichen ist. Das ist ökologische Stadtplanung!

Davon einmal abgesehen, liegt Woody Allen mit seiner für New Yorker typischen Westküstenverachtung völlig falsch. Kaliforniens größte Stadt Los Angeles leistet zur Zeit einen maßgeblichen Beitrag zur politischen Kultur des Landes, weil sich hier gerade ein außergewöhnliches Sortiment von 24 KandidatInnen um das Amt des Bürgermeisters bewirbt. Wenn man sie zusammen sieht und hört, was ab und an bei Fernsehdiskussionen vorkommt, dann wird man Zeuge einer Mischung aus Olympischen Spielen und Hyde Park Corner in London. Denn: Dabeisein ist alles. Da wäre zum Beispiel Kandidat Rudi Pavelko, im bürgerlichen Leben Taxifahrer. Er möchte die Wirtschaft der Stadt ganz auf die Produktion von Hollywood-Filmen umstellen, „weil das die einzig nicht-toxische Industrie ist“. Kandidat Tom Houston ist oft nur schwer zu verstehen, weil er im Kampf um die Reinhaltung der Gewässer seine Pressekonferenzen manchmal unter Wasser abhält. Kandidat „Melrose Larry Green“, den eine gewisse Ähnlichkeit mit Woody Allen auszeichnet, steht meistens in geblümten Shorts an irgendeiner Straßenecke in Hollywood, winkt und grinst unaufhörlich – und verspricht eine zweite Revolte, falls er gewählt wird. Für Nostalgiker bietet sich Kim Allen von der „Socialist Workers Party“ an, die die US-Gewerkschaften in „Instrumente für den Klassenkampf“ umwandeln möchte. Sympathisch, doch gleichzeitig ist Skepsis angebracht: Das haben schon ganz andere versucht. Meine persönliche Favoritin ist Kandidatin Eileen Anderson, deren Zenit ihrer Karriere als Tänzerin zwar geraume Zeit zurückliegt. Sie würde aber in jedem Fellini- Film ein gute Figur abgeben. Bereits sechzehnmal hat sie sich um ein politisches Amt beworben – immer vergeblich. Liegt's daran, daß sie ihr politisches Programm nur singend vorträgt?

Um Mißverständnissen vorzubeugen: Es sind auch Kandidaten im Rennen, die nach den herrschenden Vorstellungen als relativ „normal“ gelten und vor allem mehr Geld haben. Einer von ihnen wird wohl gewinnen, obwohl er weder tauchen noch singen kann.

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