Die Wege von Bonk

Von der Lust, der Last und den Leiden erzählt ein passionierter 100-Kilometer-Läufer  ■ Zugehört hat Ulrike Remmers

Berlin (taz) – Warum kennen eigentlich so viele Menschen Herrn Boris Becker, aber kaum einer kennt Herrn Detlef Bonk? Dabei ist Herr Bonk im Laufsport das, was Herr Becker im Tennis ist: ein As. Herr Bonk ist einer der wenigen, die den 100-km-Lauf in Biel mehrfach erfolgreich gelaufen sind. Zehnmal war Herr Bonk inzwischen in Biel und jedesmal ist er angekommen. Zehnmal die 100 Kilometer ist der Mann gelaufen, tausend Kilometer. Unvorstellbar, sagt der Nichtläufer.

„Och Gott“, sagt da ganz bescheiden der Herr Bonk, „als ich anfing zu laufen, brachte mich ein Arbeitskollege auf die Idee, die 100-km-Strecke zu laufen. Der wollte nicht allein laufen und suchte jemand, der mitfährt nach Biel. Zehn Kilometer einmal die Woche sonntags konnte ich ja ganz gut laufen und dachte: hundert, das sind eigentlich auch nur zehn mal zehn.“

So selbstverständlich geht es dann weiter, wenn Herr Bonk erzählt, wie er seinen ersten 100-km- Lauf bewältigt hat, wie dann daraus fünf Hunderter wurden, weil er die Goldmedaille so schön fand und wie dann daraus zehn Läufe wurden, weil die Supermedaille für besondere Verdienste so etwas Ungewöhnliches und Wunderschönes sei. Dabei hatte er bei seinem ersten Lauf in Biel schon kurz nach dem Start aufgegeben. Die Kälte, die Nässe und das über zehn mal zehn Kilometer, das sei nicht auszuhalten, dachte er. Dann kamen die Läufer von ihrem Abenteuer zurück, befriedigt, glücklich und stolz. „Und wir standen da und hatten nichts erlebt“, erzählt Herr Bonk. Von dem Augenblick war es da, das Fieber.

Im nächsten Jahr stand Herr Bonk wieder am Start. Wieder hatte er erst drei Monate vorher angefangen zu trainieren, zirka 60 Kilometer die Woche. Aber diesmal waren sie da, die Abenteuerlust und die Romantik. „Du läufst über Nacht in den Tag hinein und das in der Schweizer Berglandschaft, das ist einfach unbeschreiblich“, beschreibt Herr Bonk seine Impressionen.

34 Orte sind auf der Strecke zu durchlaufen. „Aus der Dunkelheit der Wege läufst du in einen hell erleuchteten Ort, wo nachts um drei die Leute stehen und dich bejubeln. Nie bist du allein“, erzählt Herr Bonk.

Es ist sehr dunkel auf den Feldwegen zwischen den Dörfern, und 70 bis 75 Prozent der Strecke führen über Feld- und Waldwege. Es wird empfohlen, mit Fahrradbegleitung und Taschenlampe zu laufen. „Die rote Lichterkette der Fahrradrückleuchten schlängelt sich vor dir den Weg entlang und weist die Richtung“, erzählt Herr Bonk.

Aber nach 27 Kilometern ist er dann doch das erste Mal ans Gehen gekommen, der Herr Bonk. Fertig war er, völlig am Ende, und er war doch gerade erst am Anfang und sollte noch 73 Kilometer laufen. Ganze zehn Kilometer ging er zu Fuß und dachte, so geht es nicht weiter. Bis Kilometer 60 hieß es dann im Wechsel: gehen, laufen, gehen, laufen.

Nach 60 Kilometern ist in Biel Halbzeit, denn die letzten 40 sind die schlimmsten. Zwanzig Minuten machte er Pause, trank zwei Becher schwarzen Tee ohne Zucker und aß zwei Äpfel. Aber auch danach ging es nicht besser. Bei dem Versuch aufzustehen, machte die Muskulatur nicht mit. Mitläufer mußten ihn hochziehen.

Dann war es 9.30 Uhr, die Sonne fing an zu brennen, und Herr Bonk war bei Kilometer 88. Vor ihm lag ein knochentrockener Feldweg, ohne Schatten, ohne Bäume. Es gab nichts zu trinken, und Herr Bonk fühlte sich, wie der Weg aussah.

Da kam der Zusammenbruch. „Ich fing an zu heulen“, erzählt Herr Bonk, „bin auf die Knie gesunken und habe gebetet, daß jemand vorbeikommt, dem ich fünf Mark geben kann, damit er mich erschlägt.“

Irgendwann ging es dann doch weiter. „Ich bin ins Ziel gegangen, Gefühl für Körperorientierung hatte ich nicht mehr und plumpste förmlich in jedes Schlagloch.“ Nach 13 Stunden und 54 Minuten war Herr Bonk am Ende seines ersten 100-km-Laufes angekommen. Auf dem Rückweg zur Unterkunft tat sich ein überdimensionales Hindernis auf. Es galt einen Bordstein zu überwinden. „Ich hatte keinerlei Koordination mehr und konnte die Tiefe vom Bordstein nach unten nicht mehr schätzen. Ich mußte mich seitlich am Bordstein abseilen.“ In der Unterkunft versagten die Beine dann ganz und gar. Die Schmerzen waren so groß, daß Herr Bonk nur noch von einem Gedanken beherrscht wurde: „Nie wieder!“

Doch schon 24 Stunden später dachte er: Nächstes Jahr machst du das noch mal, aber mit besserer Vorbereitung. Der Spaß am Laufen war wieder da und das Fieber. „So wurde Biel ein Stück von mir“, sagt Herr Bonk.