■ Das Portrait
: Viktor Orbán

hier Foto Nr. 3

Foto: Reuter

Ihm und seiner Partei wird bisweilen eine verzweifelte Sehnsucht nach der Macht attestiert. Victor Orbán pflegt daraufhin lapidar zu bemerken, für ihn sei die Macht kein Selbstzweck. Und tatsächlich wird aus den unpathetischen Reden des 29jährigen deutlich, daß er nach einem Ausweg aus den wachsenden wirtschaftlichen und politischen Problemen seines Landes sucht. Die Ungarn begegnen den meisten Politikern heute mit Mißtrauen. Orbán ist eine der wenigen Ausnahmen.

Orbán, dessen staatsmännisches Auftreten den Neid seiner Kollegen und Konkurrenten wachsen läßt, wuchs in einem kleinen Dorf westlich von Budapest auf. Er studierte Jura, betätigte sich publizistisch und sah einer vielversprechenden Karriere entgegen. Ein einjähriges Stipendium in Oxford, mit dem er ausgezeichnet worden war, brach er im Herbst 1989 ab, um mit dem von ihm mitbegründeten „Verband Junger Demokraten“ (Fidesz) in den Wahlkampf zu ziehen.

Ähnlich entschlossen zeigt er sich auch bei seinen zahlreichen politischen Auftritten. Auf die Frage, warum er Politiker geworden sei, hat er eine schnelle Antwort parat: „Das wüßte ich selbst gern.“ Zumindest weiß er um sein Charisma und seinen politischen Instinkt. Er riß den Fidesz – und auch sich selbst – mit einer historischen Rede zu Ehren Imre Nagys, des hingerichteten Ministerpräsidenten der ungarischen Revolution von 1956, aus der Unbekanntheit. Anläßlich von Nagys Staatsbegräbnis am 16. Juni 1989 forderte Orbán den Abzug der sowjetischen Truppen und brach damit eines der großen Tabus unter den Kommunisten.

Für seine Kollegen aus anderen Parteien hätte diese Rede das Signal sein müssen, mit dem „Fidesz“ ernsthaft zu rechnen. Der Tatsache, daß sie die Jungdemokraten als politischen Faktor lange ignorierten, trug nicht unbeträchtlich zu deren Erfolg bei. Wenngleich sie heute die kleinste Oppositionspartei im ungarischen Parlament sind, heißt der Ministerpräsident nach den Wahlen im nächsten Frühjahr mit einiger Wahrscheinlichkeit Viktor Orbán.

Wie fühlt sich ein junger Mensch bei dieser Aussicht? „Ich weiß nicht, inwieweit das alles meine geistige Konsistenz durcheinanderbringen wird“, antwortete Orbán darauf einmal in einem Gespräch. „Vielleicht bin ich mit vierzig eine psychologische Fallstudie.“ Keno Verseck