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Massenselbstmord der „Davidianer“

Über achtzig Tote / FBI stürmte „Ranch Apokalypse“ / Justizministerin übernahm Verantwortung / Koresh und seine Anhänger konnten Waffen legal erwerben  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Schlimmer hätte sich der Name nicht bewahrheiten können: Nach einer siebenwöchigen Belagerung durch FBI und andere Polizeieinheiten ging am Montag in der Nähe der texanischen Stadt Waco die festungsartige „Ranch Apokalypse“ des Sektenführers David Koresh in Flammen auf. Nach einem Angriff durch gepanzerte Polizeifahrzeuge steckten Sektenanhänger nach Angaben des FBI das Anwesen – und sich selbst – in Brand. Über achtzig Menschen, darunter mindestens 17 Kinder, sind bei diesem Massenselbstmord ums Leben gekommen. Neun Menschen haben überlebt.

In den frühen Morgenstunden hatten gepanzerte M-60- Fahrzeuge begonnen, Löcher in die Außenwände des Gebäudekomplexes zu stoßen und Tränengas abzuschießen. Zuvor hatte man per Telefon den Sektenmitgliedern mitgeteilt: „Dies ist kein Angriff. Wir feuern nur Tränengas ab. Verlassen Sie das Gebäude und stellen Sie sich den Behörden.“ Die Davidianer eröffneten das Feuer auf die Panzerfahrzeuge, das nach Angaben des FBI nicht erwidert wurde. Statt dessen rammten die Panzerfahrzeuge weiter gegen die Wände – bis plötzlich Rauchwolken aus der Festung aufstiegen. Innerhalb von 30 Minuten stand der gesamte Komplex in Flammen. Erst eine halbe Stunde später waren die ersten Löschzüge vor Ort – das FBI hatte es versäumt, die örtliche Feuerwehr von dem Einsatz vorab zu informieren.

Die Belagerung hatte vor 51 Tagen, am 28. Februar, begonnen. Als Beamte des „Bureau for Alcohol, Tobacco and Firearms“ (ATF) versuchten, mit einem Haft- und Durchsuchungsbefehl in die Festung der Davidianer, einer christlich-fundamentalistischen Abspaltung der „Seventh Day Adventist Church“, eindringen wollten, eröffneten diese das Feuer. Vier ATF-Beamte und mindestens zwei Sektenmitglieder wurden erschossen. Die Polizei zog sich gezwungenermaßen zurück und umstellte die „Ranch Apokalypse“ mit einem massiven Aufgebot an Waffen, gepanzerten Fahrzeugen und Helikoptern. Es begann ein Nervenkrieg, in dem die Polizei, mittlerweile unter Leitung des FBI, versuchte, Koresh und seine Anhänger mit allen möglichen Mitteln zur Aufgabe zu bewegen. Wasser und Strom wurden abgestellt, das Gelände nachts mit grellen Scheinwerfern angestrahlt.

Zwischen dem 1. März und dem 5. April konnten 37 Menschen die Festung verlassen. 96 weitere blieben. Mehrfach hatte Koresh dem FBI versprochen, sich zu stellen, falls bestimmte Bedingungen erfüllt würden. Dann wiederum erklärte er, auf ein Zeichen Gottes warten zu müssen. Zuletzt verlangte der 33jährige von der Polizei einen Computer, um ein Manuskript über die sieben Siegel der biblischen Apokalypse zu vollenden. Danach, so Koresh zuletzt, wolle er sich stellen.

Daß die Verhandlungen mit dem Sektenführer die Nerven und Psyche aller Beteiligten auf eine harte Probe stellten, bezweifelte am Montag nach der Katastrophe niemand – weder Journalisten, noch die diversen Psychiater, Religionswissenschaftler und Sektenexperten, die nun plötzlich in den Medien enorm gefragt sind. Doch niemand konnte bislang eine befriedigende Antwort darauf geben, warum das FBI mit Zustimmung von Justizministerin Janet Reno und Präsident Bill Clinton just zu diesem Zeitpunkt einen Frontalangriff startete. Man habe lediglich den Druck auf die Sektenmitglieder erhöhen wollen, erklärte am Montag eine sichtbar erschütterte Jante Reno vor der Presse, die mittlerweile die politische Verantwortung für das Fiasko übernommen hat. Zudem hätte die FBI- Spezialeinheit zur Geiselbefreiung nach sieben Wochen abgelöst werden müssen. Man habe jedoch keinen Ersatz gehabt.

Allerdings war den Behörden bekannt, daß Koresh in seinen Predigten immer wieder ein apokalyptisches Ende seiner Sekte nach einer letzten Konfrontation mit der Staatsgewalt angekündigt hatte. Bekannt war auch, daß sich die Davidianer ein enormes Waffenarsenal zugelegt hatten, zu dem sowohl Handgranaten, halbautomatische Gewehre als auch Maschinengewehre gehörten.

So groß das Entsetzen über die Katastrophe in Waco auch ist, so wenig wird problematisiert, daß Koresh und seine Anhänger all ihre Waffen legal erworben haben. Im US-Bundesstaat Texas konnten die Davidianer zwischen 17.000 lizenzierten Waffengeschäften wählen. Um eine Waffe zu kaufen, bedarf es lediglich des Nachweises eines Wohnsitzes in Texas sowie einer Unterschrift: Der Käufer muß versichern, daß er weder vorbestraft noch geisteskrank ist. Der Besitz vollautomatischer Waffen ist zwar in den USA verboten, nicht jedoch der Kauf von Werkzeugkästen, mit denen man legale semiautomatische und illegale vollautomatische Gewehre umbauen kann. Sein Arsenal an Sprengstoff und Handgranaten hat sich Koresh nach Angaben des FBI per Post bestellt – was in den USA ebenfalls erlaubt ist.

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