Stromkonzerne können ohne Atom

RWE-Energie-Chef Kuhnt als Vertreter der Stromindustrie: Versorgung ist auch ohne Atomstrom nicht gefährdet / Gespräche zu Energiemix ohne Strom aus AKW vereinbart  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Bei den Gesprächen zum energiepolitischen Konsens haben die Stromkonzerne ausdrücklich bestätigt, daß in Deutschland auch ohne Atomstrom die Lichter nicht ausgehen. Ihr Vertreter, RWE-Vorstand Dietmar Kuhnt, sagte bei der Konferenz am Montag abend, die Versorgungssicherheit beim Strom sei auch ohne Atomstrom gegeben. Wenn die Politik eine Stromversorgung ohne Atomstrom wolle, müsse sie aber die Verantwortung dafür tragen. Kuhnt hatte schon vorher als RWE-Energie-Chef öffentlich gesagt, daß die Parteien, die den Atomstrom auf absehbare Zeit für verzichtbar hielten, den Nachweis, wie das ökologisch und ökonomisch machbar sei, führen müßten. Er selbst halte den Atomstrom für notwendig.

Der Boß des größten deutschen Stromkonzerns, der bei dem viereinhalbstündigen Treffen in Bonn für alle deutschen Stromerzeuger sprach, prägte mit seinem Vorstoß die erste Gesprächsrunde von Umweltverbänden, Gewerkschaften, Stromerzeugern und Industrie zum Energiekonsens. Die Umweltverbände BUND, Greenpeace und die Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW) begrüßten Kuhnts Stellungnahme ausdrücklich. „Wenn so deutlich gesagt wird, daß der Ausstieg möglich ist, sind wir entgültig weg von der Steinzeitdebatte“, freut sich BUND-Geschäftsführer Onno Poppinga.

Die Ökologen drängen jetzt darauf, die Möglichkeiten für eine Stromerzeugung ohne Atomkraft in kommenden Gesprächsrunden auszuloten. Heinz Laing von Greenpeace sagte, über einen möglichen Energiemix aus Energieeinsparung, fossilen und regenerativen Energien solle beim nächsten Treffen am 12. Mai gesprochen werden. Dabei werde es auch um die praktische Umsetzbarkeit und um die Kosten gehen.

Zuvor hatte sich nach Laings Worten noch einmal gezeigt, daß es einen Konsens über die weitere Atomstromnutzung nicht geben wird. Umweltverbände, SPD, Grüne und große Teile der Gewerkschaften seien dagegen. „Und damit“, so Laing, „ist nach der Definition der Stromkonzerne eine Zukunft mit Atomstrom doch vom Tisch.“ RWE-Manager Kuhnt hatte auch in Bonn noch einmal betont, „daß Großprojekte im Bereich der Kernenergie nicht gegen den Willen der großen, Staatsverantwortung tragenden Parteien realisiert“ würden. Dies sei keine Kapitulation gegenüber Minderheiten. „Ein anderes Handeln wäre unternehmerisch und wirtschaftlich nicht verantwortbar.“

Während die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies konstruktiv auftrat und sagte, daß die ArbeitnehmerInnen für eine ökologisch vernünftige und solide Energieversorgung sogar in den sauren Apfel höherer Energiepreise beißen würden, betrieben die anwesenden Bundesminister Klaus Töpfer (CDU) und Günther Rexrodt (FDP) am Montag abend nach übereinstimmender Darstellung mehrerer Teilnehmer eher eine Obstruktionspolitik. Töpfer habe mehrfach versucht, die spannende Debatte über eine energiepolitische Zukunft ohne Atomstrom zu beenden und auf den Streit um neue Reaktoren zu lenken, so Poppinga. Die Minister hätten sich angesichts der „deutlichen Bewegung der Stromkonzerne“ (Poppinga) ins Abseits manövriert: „Man hatte zeitweilig den Eindruck, die Jungs sind gänzlich außen vor.“ Da waren sie schon vor Beginn der Konsenssuche einmal gewesen: Die Initiative für die Gespräche hatten schließlich nicht die zuständigen Minister, sondern die Stromkonzerne und Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) ergriffen.

So konnten denn die Minister Töpfer und Rexrodt am Montag abend nur einmal mit ungeteilter Zustimmung rechnen: In der Entsorgungsfrage. RWE-Manager Kuhnt räumte ein, die „desolate Situation“ bei der Entsorgung des Atommülls sei eines der Hauptmotive der Stromkonzerne für die jetzigen Verhandlungen. Minister Töpfer hatte sogar vom „Chaos“ gesprochen. Ein Chaos, daß die Stromkonzerne teuer zu stehen kommen kann, ist doch die gesicherte Entsorgung Voraussetzung für den Weiterbetrieb ihrer AKW. Daran fehlt es den Umweltverbänden schon heute: „Der Weiterbetrieb wird nur noch geduldet entgegen den rechtlichen Vorschriften“ vermutet Greenpeaceler Laing.