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SanssouciVorschlag

■ „Advanced Chemistry“ im Loft

Noch wartet die Menschheit auf große Schritte, doch in der Nation unter einem Groove haben sich während der letzten beiden Jahre zumindest die Vorzeichen verändert. HipHop hat überall auf der Welt Brüder und Schwestern bekommen: In Frankreich prononciert MC Solaar das schnell gesprochene Wort als Identifikations- und Kommunikationspool für die franco-afrikanischen Minderheiten, in England rappt Apache Indian für die Verbreitung des längst nicht mehr randgruppierten Commonwealth, und selbst in Deutschland äußern sich immer mehr Rapkünstler mit anderer Hautfarbe und kulturellen Wurzeln offensiv zur Politik der Ausgrenzung. Seit Rostock hat die Sprache der Jugend ein Thema: Rassismus.

Neben dem in Hamburg lebenden Exil-Amerikaner Eric IQ Gray und der türkisch-kurdischen Fresh-Familien-Posse aus Düsseldorf sind vor allem die Heidelberger Advanced Chemistry zuletzt ins Licht der Gegenöffentlichkeit getreten. Nachdem sich für die Single „Fremd im eigenen Land“ keine Plattenfirma fand, haben sie kurzerhand den Weg des Underground eingeschlagen und ihre Platte selbst vertrieben. Dadurch wurde der Song automatisch in andere Medienkanäle eingespeist als etwa die Spaßreime der fantastischen Vier, lief über „Spex“ und Rockradio B. Und plötzlich funktionierte auch das Spiel vom Rap gegen den Mainstream wieder, das in den amerikanischen HipHop-Gemeinden schon fast in den selbstreferentiellen Strudel der Dissidenz – explicit lyrics – abgerutscht ist. Afro-Amerikaner reden über ihre Lebensbedingungen, und der weiße Mittelstand kauft sich ungerührt in die Zeichenwelt der black community ein.

Advanced Chemistry jedoch zäumen das Pferd von der anderen Seite her auf, popstrategisch: „Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land, kein Ausländer und doch ein Fremder“ heißt es im Refrain. Durch die Negativbestimmung von Authentizität gelingt den drei Deutschen, deren Vorfahren zum Teil aus anderen Kulturkreisen stammen (bei Torch ist es Haiti, Toni L.s Vater kommt aus Italien und Linguist ist Halb-Ghanaer), ein Spagat, bei dem sie sich weder selbst als die anderen innerhalb einer bestimmten Gesellschaft ausgrenzen (im Sinne von Roots und Knowledge, die weite Teile der Black Nation von Arrested Development bis zum X-Clan in Amerika propagieren), noch zum integrationsfähigen Exoten heruntermarginalisieren und abstempeln lassen.

Wenn sie davon reden, daß sie „einen deutschen Paß mit 'nem goldenen Adler drauf“ besitzen, dann wird nicht die gerechte Anwendung deutscher Gesetze gegenüber Minderheiten eingeklagt, sondern der Minderheitenbegriff in sich selbst ad absurdum geführt. Und so ist auch die Zulu Nation, zu der Advanced Chemistry gehören, ebenso selbstverständlich subversiv ein in Deutschland angesiedelter Tribe, der aber wiederum alle möglichen Hautfarben vertritt – Kontexte, und keine Strukturen. Harald Fricke

„Advanced Chemistry“, 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz 5.

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