Die Frustrierten mit Medaillenchancen

■ Für die USA tritt das beste Team seit langem bei der Eishockey-WM an

Dortmund (taz) – Tim Taylor, seit fünf Jahren Coach der US-Nationalmannschaft, ist ein wenig entsetzt über das bisherige Niveau dieser Eishockey-WM: „Die Art, bei Weltmeisterschaften zu spielen, hat sich geändert. Es wird immer mehr wie Fußball.“ Die Taktik dominiert, die Mannschaften, besonders die schwächeren, stellen sich hinten rein, verzichten auf Forechecking, versuchen, eher Tore zu vermeiden als welche zu erzielen, und die Leistungen der Keeper werden bei diesen torarmen Spielen immer wichtiger. Ein Fehler – und das Match ist möglicherweise verloren.

Grund für den mangelnden Mut zur Offensive ist vor allem der Modus mit zwölf Teams. Waren früher die Topteams weitgehend unter sich, sind jetzt auch Norweger, Österreicher oder Franzosen dabei. „Für die Franzosen“, meint Taylor, „ist es eben ein Riesenerfolg, gegen Finnland nur zwei Tore zu kassieren oder gar unentschieden zu spielen.“ Doch auch für die Favoriten geht es darum, sich ohne großen Aufwand ins Viertelfinale zu mogeln, gegen die Schwachen zu punkten, gegen die Starken Kraft zu sparen. Das Mittel dazu ist strenge Defensive mit gelegentlichen Kontern. So wollten die Deutschen gegen die Tschechen spielen, hatten allerdings nicht damit gerechnet, daß diese genau dasselbe planten. „Sie haben uns das Spiel aufgezwungen, das wir ihnen zugedacht hatten“, staunte Gerd Truntschka nach dem 0:5. Taktische Winkelzüge, die in der NHL auf pures Unverständnis stießen. Hier regiert der Hurra-Stil.

„Wir können sowas nicht“, sagt Tim Taylor kategorisch, und gegen die Finnen brauchten sie es auch nicht. Zwar fielen in einem rasanten Spiel auch nur zwei Tore, doch das 1:1 war vor allem ein Verdienst der Torhüter Mike Richter von den New York Rangers und Markus Ketterer, die eine Unmenge von Schüssen aus allen Richtungen parierten.

„Vom Talent her haben wir diesmal ein Team mit einem großen Potential“, freut sich Tim Taylor, gibt aber zu bedenken, daß dies nicht viel heißen muß. „Das hatten wir auch 1989 in Stockholm, mit Pat La Fontaine und Phil Housley, und dann sind wir bloß Sechste geworden.“ Es sei ein großes Problem, „daß wir, wenn wir diese Teams zusammenstellen, nicht alle Teile kennen.“ Und manchmal passen die Teile halt nicht.

Diesmal hatte Taylor Glück. Die besten Spieler in der NHL stammen zumeist aus Kanada, doch mit den New York Rangers und den Minnesota North Stars verpaßten zwei Clubs die Play-offs, in denen eine Reihe großartiger US-Cracks aktiv sind, etwa Darren Turcotte, Ed Olczyk und vor allem der zwanzigjährige elegante Superstar Mike Modano. Gerd Truntschka jedenfalls war entsetzt: „Ich hatte mit fünf Profis bei den Amerikanern gerechnet, jetzt sind es vierzehn, und noch dazu sehr gute.“

Beste Chancen, endlich mal wieder eine WM-Medaille zu gewinnen. Die letzte, aus Bronze, gab es vor 31 Jahren in Colorado, aber da taten UdSSR und ČSSR nicht mit, aus Solidarität, weil die DDR keine Einreiseerlaubnis bekam. Nur das Tor müßten die NHL- Cracks wenigstens gelegentlich treffen. Zwei Powerplay-Treffer brachten sie bisher zustande, obwohl sie laut Taylor „nur fünf Minuten“ Zeit hatten, das Überzahlspiel zu üben. „Das ist frustrierend für unsere Profis, die ans Toreschießen gewöhnt sind.“ Und wenn sie frustriert sind, fangen sie an zu prügeln. Vier Zeitstrafen im zweiten Drittel brachten die USA gegen Finnland völlig aus dem Konzept. „Da haben wir Glück gehabt, daß wir nur ein Tor kassierten“, sagt Taylor, der doch extra die größten Rauhbeine zu Hause gelassen hat. „Wir müssen daran arbeiten, unsere Frustration zu kontrollieren.“ Fünf Minuten werden da wohl nicht reichen. Matti Lieske