: Böse Mine zu bösem Spiel
■ Symposium in Genf / Monatlich werden 800 Menschen von Minen verstümmelt
Genf (taz) – 100 bis 120 Millionen zumeist noch scharfe Minen liegen weltweit unter der Erde. Sie stammen aus den Kriegen seit 1933 und sind inzwischen zum Massenkiller geworden: monatlich werden im Durschschnitt 800 Menschen durch explodierende Minen getötet, weitere 450 verstümmelt. Die Opfer sind fast ausschließlich Zivilisten, darunter über ein Viertel Kinder. Diese Zahlen nannte das Internationale Rote Kreuz (IKRK) gestern in Genf zum Auftakt eines zusammen mit den nationalen Rotkreuz- und Roter- Halbmond-Gesellschaften veranstalteten Symposiums zum Thema „Eine perverse Anwendung von Technologie“. IKRK-Präsident Cornelius Sommaruga machte zugleich deutlich, daß seine Organisation mit Rücksicht auf wichtige Produzentenländer vor der Forderung nach einem vollständigen Verbot von Produktion, Export und Anwendung sowohl herkömmlicher Minen wie neuer High-Tech-Minen zurückscheut.
In Afghanistan wurden während des 14jährigen Krieges über zehn Millionen Minen verlegt oder von Hubschraubern abgeworfen, die meisten durch die sowjetischen Besatzungstruppen. In Ex-Jugoslawien wurden seit Kriegsbeginn rund 800.000 Minen verlegt. Und im Nordosten Somalias, wo nach dem Beschluß des Bundeskabinetts demnächst 1.640 Bundeswehrsoldaten in angeblich „sicherer Umgebung“ eingesetzt werden sollen, liegen laut einem jüngst veröffentlichten Bericht einer internationalen Ärztekommission ebenfalls noch Hundertausende Landminen aus dem Bürgerkrieg der Jahre 1988–91 unter der Erde. Das Afrika Korps der Deutschen Wehrmacht verbuddelte ebenfalls Hunderttausende von Minen in Libyen. Trotz zahlreicher Ersuchen der Regierung in Tripolis in den letzten 40 Jahren verweigerte Bonn bisher die Hilfe bei der Beseitigung dieser tödlichen Gefahr. Zur Begründung heißt es in einem Schreiben des Auswärtigen Amts vom 24. März 1993: „Das geltende Völkerrecht kennt bislang keine Verpflichtung, Kriegsmaterial und dessen Rückstände nach Beendigung der Feindseligkeiten zu beseitigen“. Das ist formal korrekt. Auch ansonsten weist die 1983 in Kraft getretene Minenkonvention erheblich Lücken auf. Die Konvention gilt nur für zwischenstaatliche Kriege; sie verbietet lediglich den beabsichtigten Einsatz gegen Zivilisten nicht aber den etwa gegen Panzer.
Derzeit in der Entwicklung befindliche Minen, die nach ihrer Verlegung aus Hunderten von Kilometern Entfernung mit elektronischen Mitteln entschärft und bei Bedarf wieder geschärft werden können, fallen nicht unter das Abkommen. Sie wurden etwa vergangenen Freitag von der israelischen Regierung eingesetzt, um eine Demonstration der 415 deportierten Palästinenser zu stoppen. Um flüchtige Kurden abzuschrecken, hat die Türkei High-Tech-Minen an ihrer Grenze zum Irak verlegt. Künftig könnten diese Waffen eingesetzt werden, um Migrationsströme etwa von Ost- nach Westeuropa zu unterbinden. Trotz ihrer Lückenhaftigkeit wurde die 83er Konvention bislang erst von 35 Staaten ratifiziert. Darunter sind nur 17 der 37 Ländern, in denen Minen hergestellt werden. Die Bundesrepublik, in denen Firmen wie Dynamit Nobel, Rheinmetall und die Uhrenfabrik Junghans mit der Produktion und dem Export von Minen und Zündertechnologie viel Geld verdienen, hat diese erst im Herbst 1992 ratifiziert. Andreas Zumach
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