Der Krieg im Krieg in Bosnien

Muslimanisch-kroatischer Konflikt ausgeweitet / Vance-Owen-Plan trug zur Entzweiung bei / UNO-Protektorat einzige Chance zur Rettung der „bosnischen Idee“  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Als ob die Menschen in Bosnien nicht schon genug Probleme am Hals hätten! Mit der Verschärfung der Auseinandersetzungen zwischen Muslimanen und den westherzegowinischen Kroaten in Zentralbosnien ist nun ernsthaft eine zweite Front gelegt. Daß die Verbündeten in dieser Weise aufeinanderschlagen, könnte zur Vermutung führen, es handele sich um eine großangelegte Provokation. Denn die schon jetzt feststehenden Sieger der Kämpfe in Mostar, Vitez, Prozor und Konjic befinden sich auf der anderen, der serbischen Seite. Der Kampf um Srebrenica und das Schicksal der dort eingeschlossenen Menschen tritt in den Windschatten des kroatisch- muslimanischen Konflikts.

Die Ursachen für die Auseinandersetzungen sind jedoch nicht nur aktuell begründet, sie sind nicht nur das Werk politischer Desperados. Sie bezeichnen die Schnittstelle grundsätzlicher Interessenunterschiede, die inzwischen von großen Teilen der Bevölkerungen mitgetragen werden. Schon im Vorfeld des Krieges in Bosnien verdichteten sich Gerüchte, die kroatische Führung um Tudjman wolle mit der serbischen Seite über die Aufteilung Bosniens ins Geschäft kommen. Die dahinterstehende Strategie entspringt dem Wunsch, die kroatisch dominierte Westherzegowina mit Kroatien zu vereinen. Diese „kleinkroatische“ Lösung wurde übrigens am heftigsten von der rechtsradikalen „Partei des Rechts“ um Dobrislav Paraga bekämpft, die ein Großkroatien unter Einschluß Bosniens anstrebt und in den „Kroaten mit islamischer Religion“ den natürlichen Bündnispartner im Kampf gegen Serbien sieht. Dies lehnen die katholisch beeinflußten Sektoren der kroatischen Regierungspartei HDZ ab, die ähnlich der Propaganda aus Serbien den Moslems sogar vorwerfen, einen „islamischen Staat“ in Europa bauen zu wollen.

Folgerichtig wurde die Führungsriege der Paragaleute von den Statthaltern der HDZ in der Westherzegowina unter Mate Boban im November letzten Jahres ermordet. Und folgerichtig verhandelte der Präsident der selbsternannten Republik „Herceg- Bosna“ mit seinem Counterpart der ebenfalls selbsternannten „Serbischen Republik Bosnien- Herzegowina“ Radovan Karazic sogar in dessen „Hauptstadt“ Pale. Auch der Gesprächsfaden zwischen den Präsidenten Tudjman und Milošević ist in dieser Frage niemals abgerissen.

Seit Herbst letzten Jahres wird von kroatischer Seite gegen die bosnisch-muslimanische Seite Front gemacht. Der Fall von Jaice im Oktober, dem Kämpfe zwischen den Verbündeten in Prozor vorausgingen, war das erste Anzeichen dafür. Mit der Unterschrift unter dem Vance-Owen-Plan durch Kroatien im Januar fordert Mate Boban die Kontrolle über Mittelbosnien, über Travnik, Gornji Vakuf, über Vitez, Kieseljak und auch Mostar. Das stieß auf den heftigsten Widerstand der bosnischen Armee, zumal in Gornji Vakuf und Busovaca. Zwar wurde ein Waffenstillstand vereinbart, die Spannungen aber blieben. Der Zugang zu Zentral- und Ostbosnien wurde von der kroatischen Seite streng kontrolliert, die Telefonverbindungen unterbrochen, die Hilfslieferungen sind an manchen Checkpoints wesentlich erleichtert worden. Vor allem aber wurde versucht, den Waffenzufluß zu unterbinden. Nachdem Mate Boban am 15. April ein Ultimatum stellte, brachen die Kämpfe offen aus. Die bosnische Armee sollte sich in den umstrittenen Gebieten Mittelbosniens der HVO, der westherzegowinischen Armee, unterstellen. Punktum. Wenn nicht, würde die Kontrolle erzwungen.

Es ist wohl eines der signifikaten Folgen dieses Zwistes, daß mit ihm die Idee eines multikulturellen Bosniens schweren Schaden nahm. Denn indem die bosnisch-muslimanische Seite mit ähnlichen Mitteln wie ihre Gegner zurückschlug — so wurde schon im Januar die kroatische Bevölkerung aus den Dörfern um Kieseljak verjagt — hat auch sie sich „ethnischer Säuberungen“ schuldig gemacht. Auch ihre Führung ist inzwischen zu dem Schluß gekommen, daß es jetzt nicht mehr um das gesamte Bosnien, sondern um die muslimanisch dominierten Gebiete geht. – Und dies, so scheint es, ist die schwerwiegendste Folge dieser Auseinandersetzung: Mit Srebrenica und Vitez ist die bosnische Idee und der bosnische Staat auch als politisches Ziel ins Wanken geraten. Die Aufteilung Bosniens wird nun auch zwischen Kroaten und Muslimanen mit Waffengewalt ausgetragen. Die resignative Erkenntnis, daß der Vance-Owen- Plan dazu beigetragen hat, weil er die Verbündeten entzweite, indem er die ethnische Aufteilung Bosnien- Herzegowinas akzeptierte, weist auch der „internationalen Gemeinschaft“ einen großen Teil der Schuld an diesen Auseinandersetzungen zu.

Sie wäre nur gutzumachen, wenn die Idee des UNO-Protektorats Bosnien-Herzegowina erneut aufgegriffen würde, wie dies der österreichische Außenminister Mock kürzlich tat. Nur mit der zeitweiligen Verwaltung durch die UNO könnte der bosnische Staat noch regeneriert werden. Dies setzte jedoch den politischen Willen voraus, militärisch zu intervenieren. Das politische Ziel, mit dem jetzt in Washington eine mögliche Intervention begründet wird, nämlich den Vance-Owen-Plan durchzusetzen, hätte zwar die Befreiung Ostbosniens von der serbischen Besatzung zur Folge. Doch hat diese Politik bisher keine Antwort darauf gefunden, wie mit den Minderheiten in den gemäß des Planes zu schaffenden ethnisch bestimmten Regionen umgegangen wird. Die Austreibungen in manchen Landesteilen wären dann legitimiert. Eine militärische Intervention darf sich in diesem Ziele der USA nicht erschöpfen.

Die Verbitterung und das Mißtrauen auf muslimanischer Seite auch gegenüber der internationalen Politik wurde dieser Tage gesteigert, als klar wurde, daß auch in Srebrenica nur die Verteidiger ihre Waffen abgeben, die Angreifer jedoch alle militärischen Trümpfe in der Hand behalten. Die Vermutung, den Forderungen der orthodoxen serbischen und der katholischen kroatischen Extremisten nach Aufteilung Bosniens mit dem Resultat der Verteibung der muslimanischen Bevölkerung, die in den von Serben kontrollierten Gebieten schon stattgefunden hat, habe auch in den internationalen Institutionen ihre Anhänger, hat damit neue Nahrung gefunden. Allein die Tatsache, daß das Waffenembargo lediglich gegenüber der bosnischen Armee durchgesetzt wurde, hat diese Vermutung bestärkt. Die Radikalisierung der Muslimanen ist die Folge, Aktionen wie die Drohung mit dem Chlorgas in Tuzla sowie der Sprengung des Neretva Staudamms sind Ausdruck höchster Verzweiflung.

Die Kurzsichtigkeit der kroatischen Politik ist leider zu konstatieren. Das Gemisch regionaler Interessen der westherzegowinischen Seite und die politische Konstellation in Zagreb haben das Bündnis mit den Muslimanen unterhöhlt. Der Gewinn aus der Aufteilung Bosniens jedoch verkehrt sich in sein Gegenteil. Denn würde die Aufteilung tatsächlich international abgesegnet, wäre über kurz oder lang die dalamatinische Küste von Serbien aus noch ernsthafter bedroht als schon jetzt. Die Mischung aus religiösen und nationalistischen Motiven hat der im Ganzen politisch unerfahrenen kroatischen Führung die Sicht verstellt. Der Spatz in der Hand ist eben nicht immer besser als die Taube auf dem Dach. Daß Tudjman aus den USA und Deutschland geraten wird, Mate Boban fallenzulassen, ist bisher auf taube Ohren gestoßen. Doch nur mit einem Personalwechsel wäre die Allianz zwischen Kroaten und Muslimanen in Bosnien neu zu begründen. Sie wäre allein in der Lage, langfristig der serbischen Aggression zu widerstehen. Und sie wäre eine Möglichkeit im Zusammenspiel klar definierter internationaler Interessen, den bosnischen Staat mit Hilfe der UNO wieder instandzusetzen.