Töpfer bedient die Atomlobby

Bundesregierung plant Rechtsanspruch auf Genehmigung von Atomkraftwerken Atomgesetznovelle hebelt Rechte der Bundesländer aus  ■ Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) – Energie-Konsenssuche nach Art der Bundesregierung: Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) will den Bau von Atomkraftwerken und anderen Nuklearanlagen erheblich erleichtern. Entgegen früheren Beteuerungen soll der Atomwirtschaft im Rahmen der derzeit in Bonn vorbereiteten Atomrechtsnovellierung nun doch ein Rechtsanspruch auf Genehmigung ihrer Kraftwerke eingeräumt werden. Nach bisherigem Recht können die Genehmigungsbehörden der Länder die Errichtung von Atomkraftwerken, Wiederaufarbeitungsanlagen oder Brennelementfabriken selbst dann ablehnen, wenn die Antragsteller alle nukleartechnischen Genehmigungsvoraussetzungen erfüllen. Eine AKW-kritische Landesregierung kann deshalb bisher nur durch Weisungen aus Bonn gezwungen werden, ein Atomkraftwerk oder eine andere Strahlenanlage auf ihrem Territorium bauen zu lassen.

Töpfers Kniefall vor entsprechenden Forderungen der Atomlobby ist im jüngsten Entwurf der Atomgesetznovelle nachzulesen. Das Papier vom 21. Dezember letzten Jahres liegt der taz vor. Danach soll in Paragraph 7 (Genehmigung von Anlagen), Absatz 2, die Formulierung: „Eine Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn...“ ersetzt werden durch die Worte: „Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn...“. Kleine Änderung, große Wirkung: Auf der Strecke bleibt das, wie die Juristen sagen, „Versagungsermessen“ der zuständigen Genehmigungbehörde. „Ein zentraler Hebel, Atomanlagen zu verhindern, schimpfte gestern der Berliner Umweltanwalt Reiner Geulen, „soll den Atomkraftgegnern aus der Hand genommen werden".

Im vergangenen Sommer sah die Sache noch anders aus. Als Minister Töpfer die Eckpunkte seiner Atomrechtsnovelle im Juli 1992 vorstellte, beruhigte er Kritiker mit dem Versprechen: „Das Versagungsermessen bei der Genehmigungsentscheidung für Kernkraftwerke (7 Abs. 2) wird beibehalten“. So stand es auch noch im vorletzten Entwurf aus dem Hause Töpfer vom September 1992.

Zur Begründung des ministeriellen Sinneswandels heißt es in dem aktuellen Gesetzesentwurf, die Streichung des Versagungsermessens rechtfertige „sich zum einen durch die parallele Rechtslage in anderen Bereichen des Umweltrechts“ und zum anderen dadurch, daß nach der Präzisierung des Atomgesetzes „kein praktischer Anwendungsfall für das Versagensermessen mehr ersichtlich“ sei. Insbesondere mache das novellierte Regelwerk den Nachweis der Entsorgung der Strahlenstoffe, entgegen bisheriger Praxis, zur Genehmigungsvoraussetzung.

„Blühenden Unsinn“ nennt der Verwaltungsrechtler Wolfgang Baumann die Behauptung einer durchgängig analogen Rechtslage in anderen Bereichen des Umweltrechts. Einen Genehmigungsanspruch der Industrie gebe es zwar nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG), nicht aber im Wasserrecht, im Abfallrecht oder im Planfeststellungsrecht. Statt einer Anpassung des Atomrechts an das BImSchG sprächen angesichts des grassierenden Waldsterbens gute Gründe dafür, umgekehrt den Behörden auch im Rahmen des Immissionsschutzes (etwa beim Bau von Kohlekraftwerken) ein Versagungsermessen zuzubilligen. Nach geltendem Recht muß die Atomwirtschaft auch hochgeschraubte Sicherheitsanforderungen erfüllen, um nicht Gefahr zu laufen, daß die Behörden – unter Verweis auf ihr Versagungsermessen – mit der Ablehnung des Genehmigungsantrages winken. Ohne dieses Druckmittel, so Baumann, drohe nun der Bau von „Billiganlagen“.

Der Jurist glaubt, daß sich Töpfer mit der nun vollzogenen Kehrtwende auch persönlich „ein Konfliktfeld vom Hals schaffen will“. Immer häufiger nämlich mußte der Umweltminister in den letzten Jahren den Weisungshammer gegen seine aufmüpfigen Widersacher in Wiesbaden, Kiel oder Hannover schwingen und sich anschließend für seine stramm atomfreundlichen Entscheidungen öffentlich rechtfertigen. Sollte der Entwurf in seiner jetzigen Fassung Gesetz werden, könnte der Reaktorminister auf weitere Atomweisungen getrost verzichten. Er müßte nur noch auf den Genehmigungsanspruch der Atomunternehmen verweisen, der keinen Spielraum mehr für politische Entscheidungen läßt.