Schönreden als Konjunkturhilfe

■ Zur Eröffnung der Hannover Messe Industrie überwinden die Festredner verbal die Rezession / Doch die tatsächliche Lage, besonders in der Schlüsselbranche Maschinenbau, drückt die Stimmung

Berlin (taz/AP) — Seit gestern ist die alljährliche weltgrößte Industrieschau eröffnet. Doch „Konjunkturbarometer“, wie sie die Veranstalter in den vergangenen Jahren stolz bezeichneten, soll die Hannover Messe Industrie in diesem Jahr lieber nicht sein: Wenn die Konjunktur schon flau ist, muß man den 6.700 Ausstellern aus 55 Ländern und den erwarteten 350.000 Besuchern nicht auch noch die Stimmung verderben. Der Leiter der Deutschen Messe-AG, Klaus Goehrmann, nennt die Schau deshalb „Treibstoff für den Konjunkturmotor“. Der „Motor“ jedenfalls stottert, die Konjunktur ist liegengeblieben – wie auch eine Menge der Industrie-Maschinen und -Anlagen der in Hannover ausstellenden Firmen.

Als erste fielen die Werkzeugmaschinenhersteller zurück. 1992 gab es weltweit einen Rückgang der Produktion um 19 Prozent, in Deutschland nach Berechnungen des Branchenverbandes VDW um 18,1 Prozent auf 14,1 Milliarden Mark. Das ist der stärkste Einbruch der Nachkriegszeit. Den deutschen Firmen geht es dabei vergleichsweise noch gut: die Japaner verzeichneten einen Rückgang der Auslieferungen um 30 Prozent.

Deutschlands größte Branche, der Maschinenbau (1,2 Millionen Beschäftigte) leidet heute darunter, daß es ihr während des Booms der späten 80er Jahre besonders gut ging. Damals investierte die Industrie sehr stark in neue und größere Maschinen, die sie jetzt, bei nachlassender Inlandsnachfrage und sinkenden Exporten, nicht mehr auslasten kann. Heute will deshalb kaum ein Fabrikbesitzer neue Produktionsanlagen kaufen.

1993 rechnet die Branche nicht mit einem Aufschwung. Produktions- und Exportvolumen des Werkzeugmaschinenbaus (400 Unternehmen mit zusammen 91.500 Beschäftigten) werden nach Schätzungen des Chefstatistikers ihres Verbandes, Gerhard Hein, 1993 um je zehn Prozent schrumpfen. Die Krise der Renommierbranche ist auch ein Indikator dafür, daß die Rezession in Deutschland und Westeuropa vermutlich noch eine Weile andauern wird – und damit auch der Arbeitsplatzabbau in der Industrie.

Die Werkzeugmaschinenbauer wollen ihre roten Zahlen vor allem durch Kostensenkung um 25 bis 30 Prozent einschwärzen. Mehr Kooperation untereinander soll das erleichtern. So arbeiten die Firmen Deckel und Gildemeister im Vertrieb zusammen, Maho und Traub verhandeln über ähnliches. Allerdings gelten derartige Strategien keinesfalls als Allheilmittel. Denn die Stärke der deutschen Werkzeugmaschinenbauer lag bislang weniger im Massengeschäft, als vielmehr in kleinen hochspezialisierten Nischenmärkten. Die mittelständische Branchenstruktur — 79 Prozent der Firmen beschäftigen weniger als 200 Menschen — ist da nach Expertenmeinung auch künftig eher von Vorteil als Großstrukturen.

Selbst wenn der „Sturz der deutschen Wirtschaft von der Hochkonjunktur in die Rezession ungewöhnlich stark war“, wie der Prsädient des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, gestern sagte, versuchten sich doch alle Eröffnungsfestredner der Hannover Messe in Optimismus.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker wandte sich am Dientag abend gegen den allgemeinen Pessimismus. „Wir haben keinen Grund zur wehleidigen Klage.“ Um den wirtschaftlichen und politischen Veränderungen zu begegnen, seien statt dessen neue Impulse für alle Bereiche der Gesellschaft nötig. Und Tyll Necker befand, die Wirtschaft solle sich nicht „wie die Lemminge in den Abgrund stürzen“.

Es sei hart, aber unausweichlich, zwischen Branchen mit und ohne Zukunftsperspektiven zu unterscheiden, sagte der Bundespräsident mit Blick auf die Subventionspraxis in der Bundesrepublik und in der EG, die in diesem Jahr „Partnerland“ der Messe ist. Der Präsident der EG-Kommission, Jacques Delors, betonte in seiner Eröffnungsrede die Notwendigkeit einer europäischen Industriepolitik, um die Wirtschaftskrise in den Staaten der Gemeinschaft zu überwinden.

Dabei gehe es nicht um Dirigismus oder neue Subventionen, sondern um die Erleichterung von Kooperation zwischen Unternehmen in Europa. Eine Wachstumsinitiative der EG-Kommission soll nach den Worten Delors in diesem und im nächsten Jahr ein Wirtschaftswachstum von einem halben Prozentpunkt bringen und 400.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Der Blick der Festredner auf das Positive hat dabei einen durchaus handfesten Grund: Investitionsentscheidungen von UnternehmerInnen hängen auch von Hoffnungen auf zukünftige Gewinne ab.

Schönreden kann daher tatsächlich ein Tropfen „Treibstoff für den Konjunkturmotor“ sein. Donata Riedel