Die Reihen der Koalition sind fest geschlossen

In der gestrigen Bundestagsdebatte um den kurz vorher im Kabinett beschlossenen Einsatz deutscher Soldaten unter dem Dach der UNO ging keine der Parteien sparsam mit großen Vergleichen oder Rückgriffen auf die deutsche Geschichte um.

„Seit der deutschen Einheit müssen wir mit Ihnen über immer wieder neue Varianten militärischer Einsätze streiten“, klagte Karsten Voigt, der gestern als erster Redner der SPD auf den Außenminister antwortete. Dabei wird es wohl bleiben – am Ende der gestrigen Bundestagsdebatte stand der parlamentarische Nachvollzug schon gefällter Kabinettsbeschlüsse über die Einsätze im ehemaligen Jugoslawien und in Somalia, und alles spricht dafür, daß in zwei Monaten oder einem halben Jahr sich das nachträgliche Ja des Bundestags aus anderen Anlässen wiederholt.

Die außerordentliche Sitzung des Parlaments hatte die SPD nach dem Karlsruher Awacs-Beschluß verlangt, die umstrittenen Somalia-Einsätze hatten zusätzlichen Stoff geliefert. Niemand ging gestern sparsam mit großen Vergleichen oder mit Rückgriffen in die Historie um. Der liberale Außenminister warb bei der SPD für einen „neuen Konsens“. Als „tiefgreifendste Änderung“ und „Paradigmenwechsel“ charakterisierte Voigt die Einsätze.

Schäuble: „Totalverweigerer“ Sozialdemokratie

Vera Wollenberger (Bündnis 90/ Die Grünen) begann ihre Rede mit dem Aufstand des Warschauer Ghettos. Wolfgang Schäuble attackierte in gewohnter Schärfe die SPD als „Totalverweigerer“, deren „Ohne-mich-Standpunkt“ schon immer falsch gewesen sei. „Es ist Ihre Verantwortung, sonst muß Karlsruhe entscheiden“, attackierte der Unionsfraktionschef die SPD. Schäuble, einmal mehr in der Rolle des polarisierenden Angreifers, wollte nicht einmal zur Kenntnis nehmen, daß die SPD immerhin ein kleines Angebot gemacht hatte, das dem Parlament das entscheidende Wort über die künftige Rolle der Bundeswehr einräumen würde.

Karsten Voigt mußte per Zwischenfrage darauf hinweisen, daß die SPD ihren längst vorliegenden verfassungsändernden Antrag zu korrigieren bereit sei. Der sieht Blauhelme vor, und zwar ausdrücklich „nur“ diese. Eine gemeinsame Verfassungsänderung für Blauhelmeinsätze sofort, so lautet der neue Vorschlag, der aber spätere Entscheidungen für weitergehende Einsätze nicht ausschließt. Wolfgang Schäuble hatte dafür nur die lapidare Bemerkung übrig. Daß sei vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung, „aber er wird nicht ausreichen“.

Außenminister Klaus Kinkel (FDP) schlug in seiner Regierungserklärung zwar die appellierende Tonlage an, in der Sache war er eindeutig. „Die Antwort der Koalition lautet eindeutig: Ja!“, die neue Rolle der Bundeswehr müsse konfliktverhütende und friedenserhaltende Einsätze ebenso einschließen wie friedenschaffende. Mehrfach wiederholte Kinkel den Appell an die SPD („ganz ruhig und gelassen“) an einer Lösung mitzuarbeiten, die „unser Land handlungsfähig macht“.

Die außenpolitische Handlungsfähigkeit, die Bündnisfähigkeit war Grundmuster in Kinkels Rede. „Absurd“ sei der Vorwurf einer Militarisierung der deutschen Politik. „Keine unbesonnenen Draufgänger, aber auch keine Drückeberger“ sollten die Deutschen sein.

Ja, die Geschichte müsse im Auge behalten werden, aber man dürfe sich auch nicht „hinter ihr verschanzen“. Eine Lehre aus der deutschen Geschichte stünde fest: nie wieder dürften die Deutschen ausscheren, „nie wieder Sonderwege“. Daß die Reihen von FDP und Union gestern wohlgefüllt, ihre Redner der Zustimmung aus den Fraktionen sicher sein konnten, Kohl bescheiden-zufrieden von der Regierungsbank nickte – das alles zeigte, daß die Koalitionspartner in dieser Hinsicht an einem Strang ziehen.

Nicht hinter der Geschichte verschanzen

Der SPD ging indessen jeder Elan ab. „Der Bruch der Verfassung ist real, die Hilfe für die betroffenenen Menschen in Bosnien bleibt Illusion“, sagte Voigt unter Zustimmung seiner Fraktion, dessen Blickrichtung fast ausschließlich in die eigenen Reihen ging. Schwacher Beifall, bröckelnde Beteiligung, bestenfalls Empörung über die Reden der Regierungsseite – die Fraktion wirkte matt. Viele waren mehr als unglücklich damit, daß Hans-Ulrich Klose nicht für die SPD sprach. Eine Einladung bei der deutsch-jüdischen Gemeinde hinderte den Fraktionschef. Ob nicht gerade die verstanden hätte, daß der SPD-Fraktionschef an diesem Tag ins Parlament gehört? Tissy Bruns, Bonn