Nikon weiß, was Männer wünschen Von Michaela Schießl

Jeder ist ein Künstler, proklamierte einst der Künstler Joseph Beuys. Werbung ist Kunst, fand Jahre später Deutschlands Werbepapst Michael Schirner. Und jetzt haben wir den Salat, eine Symbiose schauerlichster Art: der Jedermannskünstler beim Werbungmachen, ein beuysscher Bastard praktisch, ein schirnerscher Mutant. Denn was uns der staatlich geprüfte Fototechniker und Fachjournalist Horst Gottfried zumutet, ist einfach greulich. „Perspektiven“ heißt seine Werbebroschüre für den Fotoapparate-Hersteller Nikon, die den Kunden die Augen öffnen soll. Kunden, die ganz ohne Zweifel in der männlichen Hälfte der Bevölkerung zu suchen sind. Gottfried begann den künstlerischen Prozeß mit Nachdenken: Was wohl könnte Männer interessieren? Was beschäftigt sie? Und was finden sie komisch? So lange und so angestrengt stormte er in seinem brain, kreativierte er durch den Bauch hindurch, bis er in der richtigen Etage landete, wo sich die phänomenale Werbeidee verbarg: Frauen. Doch Frauen, adrett ums Produkt drapiert, hatte Gottfried irgendwo schon einmal gesehen als Werbung. Egal. Ihm, dem Künstler, dem Journalisten, dem Werbeschaffenden, der, wie er stolz plustert, auch schon mal für namhafte Foto- und Publikumszeitschriften tätig war, ihm wird doch wohl was einfallen! Und es fiel, tief, weit unter die Grenze des guten Geschmacks: Ein echtes Luder sollte ihm dazu dienen, die Leistungsfähigkeit der Nikon-Objektive zu demonstrieren. So kaufte er sich eine besonders Verruchte mit originalem Luderblick ein, legte sie in ein Bett, ließ sie lächeln und knipste (210-mm-Objektiv), wobei sie züchtig die Bettdecke hochzog. Aber Luder bleibt Luder, weiß Gottfried. Fototext: Da lag sie. Unsicher und unschuldig. Doch bei genauerer Betrachtung wurde klar, daß ihr Lächeln genauso falsch war wie die Zähne. Der Beginn einer Fotogeschichte auf Bravo-Niveau. Bild Nummer 2 (85 mm): Luder im Bett, lächelt noch ein bißchen falscher, schaut unsicher zu einem Mann auf. Aha! Erwischt hat er das Luder, und das geile kleine leistungsfähige Nikon-Objektiv hat es dank seiner Weitwinkel-Dynamik gesehen! Bildtext: Was versuchte sie zu verbergen? War es nur das schlechte Gewissen oder doch wesentlich mehr? Mehr, na klar, den erstens haben Luder immerzu dreckige Geheimnisse, und zweitens hat Nikon noch ein paar Objektive mehr vorzustellen. Hart bleiben, umblättern, Bild Nummer 3. Das 35-mm-Rohr bringt das versprochene Mehr an Bildwinkel. Ein Mann tritt aus dem Schrank ins Luderzimmer, wo schon der erste Mann steht. Das Luder guckt schuldbewußt. Gottfrieds Textkomposition: Wer aus dem Schrank kommt, hat meistens von vornherein die schlechteren Argumente. Besonders, wenn schon ein Mann im Zimmer ist. Rasch umgeblättert zum 28-mm-Zoom mit maximaler Winkeleinsicht! Doch was ist das? Gottfried, der Feigling, er kneift! Statt einer Szene gibt's eine gar lustige Auflösung, denn siehe da: Eine Verkäuferin nähert sich dem Geschehen. Welch ein Spaß: Das Ganze ist ein Möbelhaus, mit Probeliegen. Nicht, was Sie alle dachten! Ungeheuer zweideutig, ein wahnsinniger Tiefgang, dieser urkomische Augenzwinkerer auf Stammtischniveau. Nikon weiß eben, was Männer wünschen.