Muslime als Kroatiens neue Erzfeinde

Kroatische Medien erklären Bosniens Muslime zu „Schlächtern“ / Zagreb setzt die gleichgeschaltete Presse voll ein / Ausländische Nachrichten werden unterschlagen oder gefälscht  ■ Von Karl Gersuny

Wien (taz) – Die gleichgeschalteten Medien der Republik Kroatien haben einen neuen Erzfeind ausgemacht: Seit Tagen bringen Fernsehen, Zeitschriften und Zeitungen ohne Ausnahmen Horrorgeschichten über „muslimische Horden“, die in den Dörfern um die zentralbosnische Ortschaft Vitez herum einen „Genozid“ gegen das kroatische Volk eingeleitet haben sollen.

Der regierungsnahe Novi Vjesnik (Neuer Kurier) wartete gar mit der Schlagzeile „Muslime in den Fußstapfen serbischer Schlächter“ auf. In seitenlangen Reportagen glaubt die Tageszeitung beweisen zu können, daß in Vitez muslimische Soldaten unzählige Massaker an kroatischen Zivilisten verübt hätten. Als Zeugen werden britische UNO-Soldaten zitiert, ohne jedoch zu erwähnen, daß diese Kroaten und Muslime gleichermaßen beschuldigen, mit unglaublicher Härte gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen.

Ins gleiche Horn bläst auch die in Split erscheinende Slobodna Dalmacija (Freies Dalmatien), bis vor kurzem das einzige unabhängige Informationsmedium im gleichgeschalteten kroatischen Blätterwald. Mitte März war die „Slobodna“ faktisch verstaatlicht worden, 100 von 120 RedakteurInnen durften seitdem ihren Stuhl räumen.

Inhaltlich ist Slobodna seitdem offenbar voll auf Linie: In Sarajevo soll es einen Pakt zwischen hohen muslimischen Militärs und serbischen Generälen geben, deren Ziel es sei, alle KroatInnen aus Bosnien-Herzegowina zu vertreiben und zu ermorden.

Selbst auf der Leserbriefseite, wo in der kroatischen Presse bisher am ehesten von der offiziellen abweichende Meinungen zu finden waren, werden derart obskure Anschuldigungen nicht hinterfragt. Und die Auslandskorrespondenten zwischen Zagreb und Dubrovnik klammern die weltweiten Reaktionen auf die Kämpfe zwischen KroatInnen und MuslimInnen geflissentlich aus.

Oder erfinden gleich ihren Teil: Slobodna Dalmacija meldete aus London, britische Medien hätten herausgefunden, hinter dem Konflikt ständen „fanatische Mudschaheddinkämpfer mit proserbischer Orientierung“. Woher Slobodna Dalmacija diese Information habe will, wird im Text nicht verraten, die Kroatien-kritische Berichterstattung aller seriösen britischen Blätter von der Times bis zum Guardian existiert für die Redaktion in Split wohl einfach nicht.

Völlig verschwiegen wird in Kroatien, daß die Vereinten Nationen kroatischen BosnienerInnen die Hauptverantwortung für die Kämpfe in Zentralbosnien zuschreibt. Blauhelme der UN-Schutztruppen für das ehemalige Jugoslawien (UNPROFOR), die in der Nähe von Vitez stationiert sind, beschuldigen militante KroatInnen, am Wochenende mit Angriffen auf mehrheitlich von MuslimInnen bewohnte Dörfer den Bruderkrieg vom Zaun gerissen zu haben.