Der alte Regierungschef könnte der neue werden

■ Italiens Parteien kungeln über die Nachfolge des zurückgetretenen sozialistischen Regierungschefs Amato und über das Schicksal ihrer angeklagten Spitzenpolitiker

Rom (taz) – Italiens Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro steht vor einem komplizierten Wochenende. Noch vor wenigen Wochen war von zwei möglichen Alternativen zu der am Freitag förmlich zurückgetretenen Regierung Giuliano Amatos die Rede. Es handelte sich um die beiden Kammerpräsidenten – den Chef der Deputiertenkammer Giorgio Napolitano von der „Demokratischen Partei der Linken“ (PDS) und den Vorsitzenden des Senats Giovanni Spadolini von der „Republikanischen Partei“.

Doch inzwischen ist die Zustimmung zu den beiden Kandidaten nicht mehr uneingeschränkt. Alle politischen Gruppen sind zwar der Meinung, daß die neue Regierung nur für wenige Monate im Amt bleiben und dann Neuwahlen ausschreiben soll. Bis dahin sollen Teile der angestrebten Verfassungsreform – vor allem die seit den Referenden vom vergangenen Wochenende verfügte Stärkung regionaler Elemente – und das neue Wahlgesetz verabschiedet werden. Doch wer das am besten kann und mit welchen Mehrheiten er im Parlament rechnen darf, ist völlig offen. Vor allem ein Problem wird hinter den Kulissen heiß diskutiert: was soll mit den unzähligen angeschuldigten Ex-Ministern und Abgeordneten werden? Nur wer hier bei einer „sanften“ Lösung – etwa in Form einer kaschierten Amnestie – mitmacht, hat Aussicht auf die Zustimmung der bisherigen vier Regierungsparteien (Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten und Liberale), und die haben immerhin die Mehrheit im Parlament.

Eine gewisse Beweglichkeit zeigt nur die aus der Mehrheit der früheren KP hervorgegangene PDS: sie kann sich inzwischen statt ihres Mitglieds Giorgio Napolitano auch eine Regierung unter dem Führer des „Referendum“- Paktes Mario Segni vorstellen. Damit würde ein Eintritt der oberitalienischen „Ligen“ und der „Republikanischen Partei“ ermöglicht. Doch Segni mögen die Christdemokraten nicht, ist er doch vor drei Wochen aus der „Democrazia Cristiana“ ausgetreten. Ohne die Katholikenpartei ist jedoch eine Regierungsbildung kaum vorstellbar. Die Christdemokraten ihrerseits würden möglicherweise Napolitano unterstützen – das aber brächte Probleme mit der „Republikanischen Partei“, die der Großindustrie nahesteht und seit zwei Jahren harte Opposition betreibt. Sie hat mit Spadolini ihren Mann im Rennen und will an ihm festhalten – bisher jedenfalls. Bleiben zwei Auswege: ein Kompromißkandidat „von außen“, etwa der mehrmals genannte ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Norberto Elia, der den Christdemokraten nahesteht, oder der Präsident der Notenbank Carlo Azeglio Ciampi, der sich von Politgruppen immer ferngehalten hat.

Wenn alle Stricke reißen, könnte es aber auch einen erneuten Auftrag an den Sozialisten Amato geben. Der soeben zurückgetretene Regierungschef könnte seine bisher knappe Mehrheit auf Grundlage eines präzisen Kurzprogramms und mit neuen, unbelasteten Ministern erweitern.

Eile ist geboten: die „Ligen“, die in Oberitalien ein Wählerpotential zwischen 30 und 40 Prozent aufweisen, haben angekündigt, sich die Sache noch zwei Wochen anzusehen. Gibt es bis dahin keine Regierung, wollen sie eine allgemeine Mobilmachung gegen den „Palazzo“ in Rom betreiben, auf die Straße gehen und ihre separatistischen Vorstellung vorantreiben. Werner Raith