Rezepte gegen die Krise

Der französische Premierminister tritt ein schwieriges Erbe an / Balladurismus als Fortsetzung der sozialistischen Politik mit etwas anderen Mitteln  ■ Von Nicola Liebert

Berlin (taz) – Von einem Parteifreund wurde der neue französische Premierminister angekündigt als „stählerne Hand mit samtenem Handschuh“. Seit seinem Amtsantritt vor drei Wochen ist der Gaullist Edouard Balladur eher durch seine samtweiche Art aufgefallen; stahlharte Maßnahmen hat er allenfalls angedeutet.

Zu seinem Amtsantritt hat Balladur versprochen, dem Volk neue Hoffnungen einzuflößen. Die hat es auch dringend nötig, angesichts von zehn Prozent Arbeitslosen. Der Neue versucht die Erwartungen zu dämpfen: Erst ab 1994 sei mit einer Besserung der Lage zu rechnen. Allzuviel Zeit darf er sich aber nicht lassen, denn schon in zwei Jahren finden die Präsidentschaftswahlen statt. 1986 hatten die Konservativen schon einmal die Parlamentswahlen gewonnen, aber mußten nach zwei Jahren die Macht wieder an die Sozialisten abgeben.

Schnelle Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind jedoch fraglich, denn ein konjunktureller Aufschwung ist in Frankreich nicht in Sicht. Allein für dieses Jahr wird ein Investitionsrückgang von vier Prozent prognostiziert. Für kostspielige Beschäftigungsprogramme hat der Staat kein Geld – das Haushaltsloch beträgt im laufenden Jahr 350 Milliarden Franc.

Überhaupt haben die bislang regierenden Sozialisten der neuen Regierung ein Erbe hinterlassen, das ihr nicht gerade viel Spielraum läßt. Zwar ist die Inflation bei dem rekordverdächtig niedrigen Stand von 2,2 Prozent angelangt, und zum ersten Mal seit vielen Jahren wies 1992 die Außenhandelsbilanz schwarze Zahlen auf. Nur leider ist der Patient nach der gelungenen Operation halbtot: de finanzpolitische Stabilisierung wurde mit einem totalen Konjunktureinbruch und der erdrückenden Arbeitslosigkeit allzu teuer erkauft.

In dieser schwierigen Lage führte den neuen Premier nicht zufällig seine erste Reise im neuen Amt am vergangenen Donnerstag in die Bundesrepublik. Für Balladur ist – ganz in der Tradition der letzten Regierung – die Stabilisierung des Francs und die Stärkung des Europäischen Währungssystems eines der obersten Ziele. Für die wirtschaftliche Wiederbelebung will er vor allem die Kredite verbilligen. Zum dritten Mal innerhalb von zehn Tagen hat die französische Notenbank gestern die Leitzinsen gesenkt. Diese sind jedoch mit 8,5 Prozent immer noch zu hoch, um der Wirtschaft wirklich auf die Beine zu helfen.

Daß die Zinsen auf einem so hohemNiveau bleiben müssen, liegt dabei weniger an der französischen als vielmehr an der deutschen Politik. Wegen der Finanzierung der deutschen Einheit befinden sich hier die Zinsen auf Rekordhöhe. Frankreich mußte mitziehen, um den Franc gegenüber der D-Mark nicht ins Bodenlose stürzen zu lassen. Daher war bei dem Gespräch zwischen Balladur und Kohl die deutsche Staatsverschuldung und die Höhe des Zinssatzes ein wichtiges Thema. Daß die Bundesbank vorgestern ihrerseits mit ihren Leitzinsen einen winzigen Schritt nach unten ging, ist in Balladurs Sinn, doch daß zur selben Zeit eine höhere Schuldenaufnahme des Bundes angekündigt wurde, macht weitere Zinssenkungen eher unwahrscheinlich.

Wenn Edouard Balladur sich also nicht auf Zinssenkungen zurKonjunkturankurbelung verlassen kann, muß er sich etwas anderes ausdenken. Eine Währungsabwertung, die der französischen Extinstrie Impulse geben könnte, kommt für den Konservativen nicht in Frage. Im Gegenteil, durch die Ankündigung, die Notenbank unabhängig zu machen, stabilisierte er den Kurs des Francs. Wenn die Banque de France nach dem Vorbild der Bundesbank nicht mehr der Regierung verpflichtet ist, sondern nur noch der Geldwertstabilität, ist dies ein Signal für die Währungsspekulanten, daß eine Entwertung des Francs unwahrscheinlich wird. Die Erholung des Franc-Kurses machte die Zinssenkungen überhaupt erst möglich. Übrigens ist diese Abkehr vom zins- und währungspolitischen Dirigismus mitnichten Ausdruck einer konservativen Wende – schon Balladurs Vorgänger Bérégovoy hatte denselben Plan.

Wenn der Balladurismus in zahlreichen zentralen Wirtschaftsfragen nur die Fortsetzung der sozialistischen Politik mit etwas anderen Mitteln ist, woraus besteht also nun der angekündigte Bruch mit der sozialistischen Politik? Zweierlei Punkte sind es, die Balladur wohl dem Thatcherismus abgeschaut hat. Durch die Privatisierung von Staatsbetrieben soll die enorme Staatsverschuldung abgebaut werden. Der Verkauf vor allem der großen staatlichen Banken und Versicherungen soll bis 1997 jährlich etwa 50 Milliarden Franc in die Staatskasse schwemmen.

Aber anders als Thatcher will Balladur dabei die volle Konfrontation mit den Gewerkschaften vermeiden. Balladur wird also in den nächsten Wochen erst einmal die Gewerkschaftsführer zu sich rufen, um sie in die Entscheidungen einzubinden. Ein geschickter Schachzug, denn so kann der Regierungschef die Verantwortung mit den Gewerkschaften teilen.

Der Plan, die Kosten für die Arbeitgeber zu senken, in der Hoffnung, daß diese dann zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, stammt ebenfalls aus der konservativen Requisitenkammer. Wenn Balladur Steuersenkungen ankündigt, meint er damit die Besteuerung der Unternehmer. Zudem soll der Arbeitgeberanteil bei den Sozialabgaben vermindert werden.

Die Zeche soll vom Volk gezahlt werden, und zwar über eine Erhöhung der Verbrauchssteuern, etwa der Tabak-, Alkohol und Benzinsteuern. Auch die ohnehin schon dramatisch abgemagerte Sozialversicherung wird darunter leiden, wenn die Arbeitgeberabgaben gesenkt werden. Pech für die drei Millionen Arbeitslosen. Hinter solchen unpopulären Ankündigungen erkennt man denn auch die angeblich „stählerne Hand“ des Premierministers.

In vielen Betrieben haben die glücklichen Noch-Besitzer eines Arbeitsplatzes offenbar kein rechtes Vertrauen in die Versprechungen ihrer neuen Regierung. Immer öfter fühlen sich Belegschaften in krisengeschüttelten Unternehmen zur Selbsthilfe gezwungen: Lohnverzicht scheint vielen als letzter Ausweg.