Ein Alibi für den Superphénix

Frankreichs Schneller Pannen-Brüter soll jetzt plötzlich Plutonium vernichten statt erzeugen – und vor allem doch noch Geld einbringen  ■ Aus Paris Bettina Kaps

Paris (taz) – Frankreichs Prestigeobjekt, der weltweit größte Plutonium-Brutreaktor „Superphénix“ soll doch noch eine Zukunft haben. Die französische Regierung hat eine öffentliche Einsichtnahme „zur Gemeinnützigkeit“ (enquête d'utilité publique) des Schnellen Brüters in Creys- Malville im oberen Rhonetal eröffnet. Er soll jetzt, wie es heißt, der „Verbrennung von Plutonium und anderem langlebigen Atommüll“ dienen.

Noch bis zum 30. April können BürgerInnen der Nachbargemeinden einen Bericht über Chancen und Risiken dieses Vorhabens einsehen. Sie dürfen auch ihre Ängste und Hoffnungen dazu äußern. Doch das Verfahren ist ein reines Alibi: Der Bericht wurde von der Betreiberfirma NERSA selbst verfaßt, und auf die Meinung der Bevölkerung legen Staat und Atomlobby nicht wirklich Wert: Die 900 Seiten starke Studie liegt allein in einem Dutzend Rathäusern im Umkreis von fünf Kilometern um die AKW-Zentrale aus. Die NERSA weigerte sich, ihr Werk interessierten Umweltorganisationen und VolksvertreterInnen abzugeben – weshalb ein Unbekannter das Exemplar aus dem Rathaus des 400-Einwohner-Dorfes Arandon stahl, das dann beim Parteitag der Grünen wieder auftauchte.

Nach Abschluß dieses rein symbolischen Verfahrens wird eine staatlich eingesetzte Untersuchungskommission ihre Ansicht über die Gemeinnützigkeit des Schnellen Brüters vorlegen. Wichtiger ist jedoch das Urteil der französischen Atomkontrollbehörde (DSIN): Vor einem Jahr hatte sie in einem äußerst kritischen Sicherheitsbericht verlangt, daß im Primärkreislauf des Reaktors Arbeiten ausgeführt werden sollten, um einen Brand des Kühlmittels Natrium auszuschließen. Falls die DSIN jetzt grünes Licht gibt, kann Premierminister Edouard Balladur verfügen, daß der Superphénix wieder angeschaltet wird.

Bis die Entscheidung fällt, wird der Reaktor weitere Millionen verschlingen und somit den Wunsch des staatlichen Strommonopolisten EdF und des Atomenergiekommissariats (CEA) stärken, daß die Anlage doch noch Profit bringen soll. Die Hoffnungen, die seine Inbetriebnahme 1985 begleiteten, sind jedoch längst erloschen: Der Superphénix, an dessen Betreiberfirma NERSA Italien und ein Konsortium unter Führung des deutschen RWE zu 33 und 16 Prozent beteiligt sind, sollte das Vorzeigestück der europäischen Atomindustrie werden. Mit einer Leistung von 1.200 Megawatt sollte der Prototyp eine neue Brütergeneration einleiten, die mehr Plutonium produziert als sie verbraucht und – einem perpetuum mobile gleich – unerschöpfliche Energiequelle wäre.

Was physikalischer Unsinn war, lohnte sich auch finanziell nie: Wegen ständiger Pannen lieferte der Superphénix in gut sieben Jahren gerade mal an 174 Tagen Strom; seit Juli 1990 geht gar nichts mehr und selbst die Betriebsgenehmigung ist inzwischen verfallen. Statt dessen verbraucht das AKW Strom, um sein Kühlmittel Natrium flüssig zu halten.

Zudem sind Schnelle Brüter wegen der weltweiten Plutoniumschwemme aus konventionellen AKW und dem Preisverfall des Natururans wirtschaftlich völlig uninteressant geworden. Um den Superphénix doch noch zu rechtfertigen, hatte Ex-Forschungsminister Hubert Curien im Dezember eine neue Aufgabe definiert: Schnelle Brüter seien unverzichtbar, denn „sie erscheinen heute als einziger Weg, um den Plutoniumvorrat wirksam zu verringern“. Greenpeace hält das schlicht für „intellektuellen und wissenschaftlichen Betrug“, weil es bis heute lediglich theoretische Versuche, aber keine industrielle Technik zum Vernichten von Atommüll gibt.

Auch Curien räumte ein, daß die technischen Probleme frühestens in 15 bis 20 Jahren gelöst sein dürften. Und selbst dann hätte der Schnelle Brüter bestenfalls eine Kapazität zur Vernichtung von 200 Kilogramm Plutonium pro Jahr – jeder einzelne der 56 französischen Druckwasserreaktoren produziert jedoch 260 Kilo des atomwaffenfähigen Stoffes. Sogar wenn auf zwei bis vier Druckwasserreaktoren ein Schneller Brüter käme, könnte der Plutonium-Vorrat von EdF in drei bis vier Jahrzehnten nur auf eine Menge von 300 Tonnen stabilisiert werden.

Zur Zeit ist ungewiß, ob sich die neue konservative Regierung dem Druck der Atombetreiber beugt. Als die sozialistischen Vorgänger im vergangenen Sommer das vorläufige Aus für den Superphénix beschlossen, waren politische Kalküle ausschlaggebend: Die PS wollte die Grünen für ein Wahlbündnis gewinnen. Die heutige Regierung braucht auf die empfindlich geschlagenen Öko-Parteien keine Rücksicht mehr zu nehmen. Allerdings gibt es auch in ihren Reihen Kritiker: Der RPR- Politiker Michel Barnier hat das Brüterprojekt im vergangenen Jahr als „wirtschaftlichen Reinfall“ bezeichnet. Barnier ist heute Umweltminister. Bettina Kaps