Nachschlag

■ Filme von Scott Saunders im Arsenal

Wer kennt nicht den unfreiwilligen Lachzwang, nachdem ein Teller zerschmettert oder eine Tür zugeknallt wurde? Die aus Filmen bekannten Gesten von Wut und Ärgernis wirken im wirklichen Leben selten so dramatisch, wie es eigentlich ihre Aufgabe wäre, ja: ihr Effekt verkehrt sich zuweilen sogar ins Gegenteil. Das gleiche gilt leider auch für Liebesbezeugungen.

Diese Rätsel im Gefühlshaushalt wären vielleicht nicht weiter erwähnenswert, gäbe es nicht eine dynamische Wechselbeziehung zwischen „Basic Instinct“ und uns, dem Publikum. Scott Saunders hat in diesem noch weitgehend unerforschten Terrain medialer Mimesis einen Low-Budget-Liebesfilm angesiedelt. „Lost Words“ spielt in New York, weil Saunders da wohnt und die New Yorker bekanntlich ein Faible dafür haben, ihr Leben nach individuell ausgesuchten Liebesfilmen zu gestalten.

Charles (Szeneberühmtheit Michael Kaniecki) arbeitet als Video-Editor und ist mit Marcie befreundet. Die beiden sind außergewöhnlich glücklich, und damit es so bleibt, beauftragt Charles einen Freund, einen schonungslos offenen Film über ihre Liebe zu drehen. Kurz darauf reist Marcie zu Bekannten an die französische Riviera. Charles' Freunde diskutieren beim Kartenspiel über die Bedeutung von Marcies Urlaub und nähren mit „guten Ratschlägen“ den Verdacht des Daheimgebliebenen. Die Phantasien über die alleinreisende Frau quälen Charles schließlich so sehr, daß die Liebe zerbricht. Das aber steht dem Looser in der Rolle des Sympathieträgers außerordentlich gut, und außerdem beflügelt der Trennungsschmerz den Balladensinger in Charles. Dank seines authentisch klingenden Liebeskummers bringt er es zu ersten Erfolgen: „Please, let there be no one after me.“

Mit „Lost Words“ pflegt Saunders eine moderne Form des Understatements. In bewußtem Verzicht auf allen Special-effect-Schnickschnack nähert sich der Film durch seine turbulente Kameraführung und unspektakuläre Drehorte stilistisch dem home movie. Nicht nur dokumentarisch, sondern schon fast privat scheinen manche Situationen, die sowohl auf den Bekennungseifer der 68er-Hippies wie die Peinlichkeiten mancher Bekenntnis-Showgäste anspielen. „I don't want this conversation in front of the camera. So Charles, please turn it off!“ Solche Experimente rutschen im Spielfilm erfahrungsgemäß leicht ins Manieristische, doch wann immer sich Saunders dieser Gefahrenzone nähert, leiten elegante Zwischentitel oder amüsante Statements dicker Verheirateter und dünner Junggesellen zur nächsten Episode über. An den besten Stellen erinnert „Lost Words“ an Dostojewskis Gesellschaftsspiele auf amerikanisch, denn Charles genießt sich in der Rolle des potentiell Betrogenen ebenso lustvoll wie widerwillig. Was ihn und seine Freunde in die Einsamkeit treibt, ist die Sucht einer Dramaturgie des Alltagslebens, die den Fernsehserien sehr ähnlich geworden ist. Dorothee Wenner